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John Bock


"1 Mio $ Knödel Kisses" lautet der Titel des Kunststückes, das die Bewohner der Stadt Schwaz erstmals in Kontakt mit einer Performance gebracht haben dürfte. Trotzdem darf davon ausgegangen werden, daß das Publikum davon nicht allzu überrascht gewesen ist. Performance ist heute nicht mehr so sehr ein Versuch, die Vorstellungen davon, was Kunst ist, zu dekonstruieren, als vielmehr etablierter Bestandteil der das mediale Feld beherrschenden Eventkultur – und hat sich dadurch Kunstformen wie Unterhaltungsshows oder Freilufttheater weitgehend angenähert.
In dieser Hinsicht stellt auch die Performance von John Bock keine Überraschung dar. Wenn auch die Requisiten nach seinem Auftritt in musealer Atmosphäre präsentiert und dadurch mit Referenzen zu expressiver zeitgenössischer Kunst angereichert werden – wobei ihre Qualitäten durchaus auf einem hohen Niveau subversiven Unsinns liegen mögen – so bewirkt doch ihre Verwendung für eine Inszenierung mit SchauspielerInnen in festgelegten Rollen ihre Abwertung zum skurrilen Dekor. Noch zu betonen scheint diesen Umstand dann auch der erste Teil der Aufführung, der alle Merkmale eines Bauerntheaters aufweist, mit den allzu bekannten Alltagskonflikten zwischen Eheleuten, die sich nichts zu sagen haben. Auch die danach ins Spiel kommende zweite Ebene, auf der die beiden normalen Figuren durch ihre jeweilige Traumgestalt gedoubelt werden, ändert daran grundsätzlich nichts. Daß etwa verschiedene Anwendungen von Plastikfolie zwischen dem Charakter von Simulation und Billigprodukt changieren können, dürfte selbst im Bereich des klassischen Bühnenbildes schon Klischee geworden sein.
Mitten im Chaos entfesselter Hysterie entsteigt dann der bis dahin verborgene Künstler einem Sarg und beginnt seinen Monolog. Erst jetzt konzentriert sich das Stück auf den Bereich der bildenden Kunst. Und deren Existenz erschöpft sich ebenfalls nicht in starren und verträumten Objekten, sondern ist getragen von symbolischen und materiellen Kämpfen um Anerkennung. John Bock, der vor seiner Ausbildung zum Künstler Wirtschaftswissenschaften studiert hat, entlarvt die Regeln der Beschönigung paradigmatisch anhand der Diskrepanz zwischen formal-wissenschaftlichem Modell und komplexer Realität. Bis zur Lächerlichkeit wird der Versuch durchgeführt, die Bedingungen künstlerischen Erfolges mit wirtschaftlicher Berechnungsmethodik unter Kontrolle zu bekommen. Aber es geht natürlich nicht um eine Belehrung über die Möglichkeiten des Umgangs mit Formeln, sondern darum über den Stumpfsinn akribischer Rationalität als Künstler zu triumphieren und damit zu verführen. Objekte, an denen sich dieser Wunsch veranschaulichen läßt, sind für Bock Mädchen, und so setzt er folgerichtig in die Formel zur Berechnung seiner kreativen Effektivität eine der ganz konkret anwesenden Schauspielerinnen ein, und leitet aus den Kurven ihrer sexuellen Attraktivität, die er mit einigen Linien nachzeichnet, abstruse Formeln ab, die über die Lücke verläßlicher Anfangswerte hinweghelfen sollen.
Unbestreitbar ist damit eine Problematik getroffen, die die Kunst, vor allem angesichts zunehmender Subsumierung unter einen verklärten Kulturbegriff mit seinen ökonomischen und politischen Überfrachtungen, wesentlich tangiert. Allerdings fragt sich, ob nicht eine deutlichere Abgrenzung gegenüber reinem Amusement notwendig wäre.
John Bock hat seine Position bereits auf der Berlin Biennale provozierend umgesetzt: Sein anvisierter Aktionsraum als Künstler soll von der übrigen Welt nicht nur separiert sein, sondern auch eine Art wohligen Schlupfwinkel bilden. Die Verbindung zur übrigen Welt stellen ein paar Gucklöcher, oder besser Videomonitore dar, die bereits auf mediale Verbreitung geeicht sind. Mit ähnlichen Vorstellungen von Autonomie tritt neuerdings eine Reihe von KünstlerInnen auf; als Club Culture deklarierte Formen bohèmehafter Selbstbezüglichkeit mögen dabei auf individueller Ebene eine Art von Opposition gegen die Anpassungszwänge des Erwerbslebens darstellen; aber die Irritation, die von dieser Nische ausgeht, überschreitet die Norm des ganz alltäglichen Spektakels nicht.
(21.11.98 bis 30.1.99)

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Michael Hauffen

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