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Schnittstelle Produktion


Daß Kunst nicht nur freie Kreativität beinhaltet, sondern als institutionell regulierter Bereich symbolischer Produktion genauso wesentlich disziplinierende Funktionen konzentriert, wird zugunsten des schönen Scheins regelmäßig verdrängt. Souveränität kann sich in dieser Umgebung nur als Abweichung von jenen zum Teil subtilen Machtstrukturen manifestieren, die als vollkommen selbstverständlich gelten wollen. Der Ausstellung "Schnittstelle/Produktion" liegt das Interesse zugrunde, neuere Tendenzen souveräner Differenz aufzuspüren. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf konkrete Ansätze, aus vorgegebenen Produktionsformen auszubrechen.
Eine große Bedeutung nimmt hier das Konzept alternativer Distribution in Eigenregie ein. Soll die museale Abschottung des Kunstkontextes überwunden werden, dann auch auf der Ebene institutionell regulierter Förder- und Verkaufsstrukturen. Aus dieser Überlegung leiten sich zunehmend Initiativen her, die abseits des etablierten Marktes zu operieren versuchen. Die Zeitschrift Neid erscheint im Umfeld einer Gruppe von KünstlerInnen, die so verschiedene Dinge wie DJing, Literatur, Fotographie und Comics einschließt, so daß hier weniger der Kunstmarkt, als eine neuere Variante von corporate identity zum Vorbild dient, die etwa im Umfeld von Popbands oder Kultfilmen zu beobachten ist. Neid ist in der Ausstellung mit einem eigenen Videoraum vertreten, der der Vorführung einer Videorolle mit Beiträgen von Beteiligten dient. Der Stil von Neid wäre nicht authentisch, wenn der Vorführraum ohne die Zeichen von subkultureller Abweichung auskäme, die hier durch ein großes Bett anstelle der Stuhlreihen und einen typisch amerikanischen Wasserspender, alles in fluoreszierendes Licht getaucht, entschieden auftritt.
Vergleichbar operiert Convex TV, ein Zusammenhang von KünstlerInnen, der die Arbeit an verschiedenen Radio- und Internetprojekten durch eine Sitzbank repräsentiert. Ein eingebauter Anrufbeantworter bietet die Möglichkeit über Kopfhörer Statements abzuhören, die von Gruppenmitgliedern aus verschiedenen Städten laufend aktualisiert werden.
Wenn auch als Einzelperson, dafür aber in einem ähnlichen Kontext bietet Astrid Küver ihr Produkt an. Es handelt sich um slipmates, die man auf den Plattenteller legt, um jene berüchtigten Scratch-Effekte zu erzeugen – eine Form von anwendungsorientierter Kunst also, die einem der Norm sich verweigernden Kontext jugendlicher Kultur verbunden ist. Candy TV & Anna Key tritt dagegen in der vor perfekter Normalität strotzenden Maske einer Firma mit Anke Schäfer in der Rolle einer überzeugenden Vertreterpersönlichkeit auf, wobei das angebotene Produkt, die Überzuckerung von Fernsehschirmen, purer Nonsens ist.
Costa Vece verkauft an einem Stand T-Shirts mit je einem aufgedruckten Städtenamen plus dem Copyright-Zeichen, und verweist damit auf die zunehmend auch touristisch verwerteten Images von Städten.
Das Konzept von Andrea Knobloch, die belebende Wirkung von Off-Space-Aktivitäten in den institutionellen Raum wieder einzuführen, zitiert ein Projekt, das in New York in einem winzigen Ladenraum Ausstellungen veranstaltete. Das "New York Security Mini-Storage Project" wandert als maßstabsgetreue Nachbildung dieses Raums durch verschiedene Gruppenausstellungen in Europa, und präsentiert dabei jeweils seine eigene. In der Shedhalle ist es die Künstlerin Helene von Oldenburg mit einer Arbeit über "Arachnoide Produktion". Wie man in einem Vortrag erfahren konnte (der allerdings außerhalb des Mini-Raums stattfand), handelt es sich dabei um eine fundamentale Infragestellung unseres Selbstverständnisses als menschlicher Krone der Schöpfung, das sich angesichts neuer biologischer Erkenntnisse von der Überlegenheit der Spinnen (Arachnida) und ihrer Netzstrukturen nicht mehr aufrechterhalten läßt. Die Pseudowissenschaftliche Form des Vortrags demonstrierte wieder einmal, wie viel Überzeugungskraft ein wissenschaftlicher Habitus unabhängig vom Inhalt seiner Behauptungen besitzt.
Ein lange verdrängter Faktor künstlerischer Produktion betrifft die Frage des Geschlechts und der Sexualität als zentraler Schnittpunkt symbolischer und triebhafter Wirklichkeit. Um diese Ebene sozialer Gewaltverhältnisse in der Ausstellung zu reflektieren, wird Dorit Margreiters Projekt "Mein Schlafzimmer in Prag" als Reisekopie präsentiert. Darin spielt ein fingierter Raumschiffkorridor die Rolle, Import-/Export-Verhältnisse zwischen verschiedenen Ebenen offizieller Identität und dem entsprechenden Bild des Fremden zu thematisieren. Nicht nur die Sprache der Architektur wird auf geschlechtliche Zuweisungen abgeklopft, dient sie doch als Stabilisator für eine Reihe weiterer Grenzziehungen. Unter Bezugnahme auf Adolf Loos’ "Schlafzimmer meiner Frau" und dessen mediale Verwertung dekonstruiert Margreiter eine Ordnung, die sich als zeitlos zu stilisieren versucht, aber sehr wohl pathologische Züge trägt.
Ines Schaber versucht der Logik von Rollenzuweisungen auf psychologischer Ebene genauer auf die Spur zu kommen. Zum Zeitlupen-Zitat aus einem Fassbinder-Film, wo sich eine Frau und ein Mann kurz begegnen und wieder verlieren, ist der Text eines anderen Stararchitekten, Frank Gehry, zu hören, der Wunschprojektionen auf eine "she" in Konflikt mit der Realität geraten sieht.
Pia Lanzingers Beitrag "Das Mädchenzimmer – REVISITED" läßt ein Projekt Revue passieren, das vor einiger Zeit im Kunstraum München stattfand (vgl. den Beitrag in Bd. 140 dieser Zeitschrift, S. 413). Kritik an der Einseitigkeit symbolischer Prioritäten war hier durch die Öffnung des institutionellen Raumes für eine ins Private gedrängte soziale Realität praktisch umgesetzt worden. Um den Wirkungen dieser Öffnung nachzuspüren, suchte Lanzinger ein halbes Jahr später verschiedene Beteiligte nochmals auf und ließ sie ihre Eindrücke in Form von Statements zusammenfassen. Diese sind in einem speziell dafür entworfenen Raum über Lautsprecher zu hören, wobei visuelle Dokumente und Relikte von damals das Bild vervollständigen.
Bei Erik Göngrich mit seinen Plastikobjekten, die sich architektonischen Gegebenheiten ganz naiv konfrontieren, waren Ansatzpunkte für eine Arbeit mit Jugendlichen und Kindern entstanden, die per Video dokumentiert sind. Im Vorfeld jeder neuen Produktionsform muß zuerst einmal Raum geschaffen werden, zumindest für die Vorstellung der Möglichkeit, daß es auch anders gehen könnte. Neben einem guten Quantum Naivität dürfte dann auch die Möglichkeit von Vorteil sein, bereits vollzogene Entscheidungen wieder rückgängig zu machen. L/B (Daniel Baumann und Sabina Lang) haben sich die in der virtuellen Welt selbstverständliche Option "undo" in diesem Sinn zum Thema einer aufblasbaren Skulptur genommen. Christoph Büchel scheint ganz ähnlich zu denken, wenn er sich der Strategie der Hyper-Affirmation bedient, und den Tabubruch begeht, Kunst-Sponsoren nicht nur zu suchen, sondern ihre Gegenwart in Form übergroßer Werbebanner zu manifestieren. Wäre es angesichts beinahe schon perfekter Übernahme des kulturellen Bereiches durch das Marketing nicht besser, ihm gleich das Feld zu überlassen, und sich den ganzen Aufwand für die Simulation von autonomer Seriosität zu ersparen?
Erik Steinbrecher macht aus der Abgrenzungsmüdigkeit gleich ein Programm. Orte, an denen die Überproduktion von Werbung zum rezeptiven Kollaps führt, wie etwa chaotisch verplakatierte Wände, bieten ihm eine ideale Ausgangssituation für den Genuß jener anonymen Dokumente eines Alltags, in denen die Gesetze offizieller Selbstdarstellung nicht gelten.
Wenn die Ausstellung stellenweise den Eindruck vermittelt, es ginge den Beteiligten in erster Linie darum, sich im Raum institutioneller Übermacht kleine Nischen zu suchen, kann doch andererseits deren berechtigter Wunsch nicht abgestritten werden, den eigenen Aktionsradius zu erweitern. Schließlich benötigt Kunst auch soziale Herde, die nicht bereits – wie beispielsweise der Typ des klassischen Ateliers – durch die Ausschlußmechanismen repräsentativer Instanzen weitgehend erkaltet sind. In diesem Sinn sollten nicht zuletzt Ausstellungsprojekte wie dieses als produktive Zonen ernstgenommen werden, die einer kontextübergreifenden und kritischen Praxis als Basis dienen.

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Michael Hauffen

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