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Otto Karl Werckmeister - LInke Ikonen


Die Ordnung der Gesellschaft wird nicht unwesentlich durch die Symbole bestimmt, die ihre verschiedenen Machtinstanzen repräsentieren. Zwischen einem Symbol und der von ihm repräsentierten sozialen Basis liegt aber eine Vielzahl verschiedener Ebenen, die die "Übersetzung" bewerkstelligen, indem sie ihre Eigenarten ins Spiel bringen. Daraus resultiert nicht nur eine dauernde Unsicherheit über die Garantie von Bedeutungen, sondern auch die Möglichkeit, ja Notwendigkeit von laufenden Neubestimmungen, an denen einzelne Fraktionen der Gesellschaft in verschiedener Weise interessiert und beteiligt sind. Auch der permanente Streit um Bedeutungen von Symbolen läßt sich als sozialer Kampf lesen.
Während dieser Kampf im Bereich der beherrschten Teile der Gesellschaft hauptsächlich innerhalb der Massenmedien kontrolliert und ausgefochten wird, sieht die Struktur der Meinungsbildung nach oben hin und vor allem in der Fraktion der Intelligenz subtiler aus. Hier sind die Träger der Auseinandersetzungen selbstbewußter und daher weniger berechenbar, aber natürlich nicht wirklich unabhängig von äußeren Machtverhältnissen.
Beispielsweise wurde das Reich der geistigen Freiheit zu Zeiten des Kalten Krieges aus politischen Gründen großzügiger unterstützt, wobei die Verkennung dieses Zusammenhanges Teil der kulturellen Leistung ist, die der Zweck erfordert. Daraus ergibt sich etwa für die Kunst die Situation, daß eine Thematisierung von Ökonomie weitgehend tabuisiert werden kann.
Otto Karl Werckmeister ist als marxistischer Theoretiker an der Aufklärung solcher Zusammenhänge interessiert, aber er ist auch Kunsthistoriker, und das bedeutet, daß seine Neugier vor allem auf die sozialen Formationen gerichtet ist, die gesellschaftliche Verhältnisse in Kunstwerken verarbeiten. Sein besonderes Interesse gilt dabei den Bedeutungsverschiebungen jener Werke, die einmal revolutionär empfunden worden waren und im Lauf der Zeit um ihre Radikalität beschnitten wurden. Das macht ein Prozeß der Verklärung möglich, der als ideologische Funktionalisierung zu begreifen ist.
Nach Auffassung von Werckmeister stellt ein entscheidendes Vermittlungsglied zwischen dem kommunistischen Gedankengut und dem Interesse an seiner Verdrängung eine "linke Mentalität" dar, die zwar Abweichung von sozialen Normen kultiviert, aber sich auch des Sonderstatus privilegierter Existenz undeutlich bewußt ist, und deshalb eine allzu radikale Infragestellung der gesellschaftlichen Grundlagen ihrer davon abhängigen Position gerne vermeidet.
Analog dazu haben beispielsweise die Texte von Franz Kafka bereits bei ihrer Herausgabe eine Bereinigung erfahren, die ihre Aufnahme in den Kanon erhabener Größen reibungsloser gestalten half. Als Beleg für diese These verweist Werckmeister einerseits auf den Film "Kafka" (1990) des Regisseurs Soderbergh. Der Dichter wird darin als zurückgezogener romantischer Einzelgänger vorgeführt, dessen einziger Lebensinhalt die Kunst ist. Diesem Bild widersprechen jedoch eine Reihe von Dokumenten, die 1983 veröffentlicht wurden, und eine Revision dieses Mythos eindeutig nahelegen. Kafka war demnach in seinem Tätigkeitsfeld, der Einführung und Kontrolle des neuen Gesetzes zur allgemeinen Arbeiterversicherung, kein Unbeteiligter. Damit bestätigt sich exemplarisch, was Werckmeister schon früher als Zitadellenkultur charakterisiert hat: sogar im Widerspruch mit realen Dokumenten tendiert ein breites Feld linker Intelligenz – und Soderbergh zählt sogar eher zu den exponierteren Filmemachern – dazu, den Mythos vom einsamen Künstlergenie zu pflegen, und seine Verantwortung zu ignorieren. Stattdessen wird diese Kultur der Abweichung mehr und mehr zu einem exklusiven und kraftlosen sozialen Ort.
Oder die Geschichte des Bildes "Guernica" von Pablo Picasso: Dieses tauchte bekanntlich vor ein paar Jahren in einer Werbekampagne der Bundeswehr auf, ohne allzu großen Protest hervorzurufen. Dabei war es doch gemalt worden um angesichts der Gewalt von deutschen Wehrmachtsbombern für den spanischen Bürgerkrieg zu werben, also keineswegs, wie es die Werbung suggeriert, als ein Prototyp pazifistischer Sentimentalität. In dieser Umwertung hat eine nicht unerhebliche Rolle das Museum of Modern Art gespielt, das dem „größten Picasso” durch kunsthistorische Isolierung den neutralen Status eines Meisterwerks verpaßt hatte. Werke der Kunst haben nicht offensiv politisch zu sein, und wenn sie es doch sind, dann werden sie dessen in einer Prozedur musealer Antiseptik entledigt.
Vermutlich ist diese Logik einer der Gründe dafür, daß sich der Kunsthistoriker Werckmeister mit Vorliebe dem Comic Strip zuwendet. In dem Zeichner Enki Bilal hat er jedenfalls einen Künstler gefunden, der seine Leser mit den krassen Zuständen, die anderswo nur verzerrt zu werden pflegen, rigoros und plastisch konfrontiert. In der Bildergeschichte "Treibjagd" geht es um eine Gruppe entmachteter Ostblockoffiziere, die sich zum Rachemord an einem erfolgreicheren Konkurrenten entschließen, und dabei die paranoide Innenwelt kommunistischer Machtpolitik offenbaren.
Wenn der marxistische Gedanke noch einmal zu einer Praxis der Befreiung führen soll, dann wird es jedenfalls ohne Ernüchterung bezüglich dieser Form des Terrors auch nicht gehen. Das Elend der Welt läßt sich aber ebensowenig dadurch lösen, daß die Idee einer Revolution von unten auf ein ästhetisches Phantom , oder auf eine posthume Quelle für linke Ikonen reduziert wird. Werckmeister schärft die Wahrnehmung für diesen Unterschied auf eine Weise, die ohne belehrende Überheblichkeit auskommt.

Otto. K. Werckmeister - Linke Ikonen: Benjamin, Eisenstein, Picasso - nach dem Fall des Kommunismus. Erschienen im Hanser-Verlag, München, 235 Seiten, DM 29.80

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Michael Hauffen

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