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Peter Friedl. Report 1964–2022


Peter Friedl - Report 1964–2022

Ist es möglich, auch noch in Zeiten eines verallgemeinerten Performance-Kapitalismus und seiner hochfrequenten Kommunikation in der Kunst Gelegenheiten zu erzeugen, die sich von modischen Trends und ihren verengten Horizonten abkoppeln? – So oder so ähnlich könnte eine der Fragen lauten, die sich Peter Friedl gestellt hat, und dessen Anstrengung dem Versuch gilt, der Idee der Gleichheit aller Menschen mit Bildern einen Weg zu bahnen. Konkret wird das hier zum Beispiel anhand verschiedener Arbeiten erfahrbar, die die Perspektive von Kindern verteidigen, ohne sie mit den üblichen Arten von Verklärung zu bedenken. Playgrounds (1995–2021) besteht aus einer langen Serie von fotografierten Spielplätzen, die sich weltweit in ihrer Tristesse nicht wesentlich unterscheiden. Das Video King Kong (2001), knüpft daran an und setzt auf einem belebten Spielplatz in Sophiatown (Johannesburg) ein Drama in Szene, das historische Grausamkeiten der Apartheit mit dem Klagelied verknüpft, das der kalifornische Sängers Daniel Johnston dort am Rande vorträgt. Obwohl es amateurhaft erscheint, ist das Video vielschichtig und präzise geplant; in der Geschichte des Monsters überlagern sich schon mehrere ungelöste Konflikte, aber auch die Frage nach der angemessenen Art medialer Verarbeitung steht im Raum, wobei erst der Einsatz der technischen Wiederholung, der Loop als Quasi-Ritual in seinem ununterbrochenen Drängen die Wirkung erzeugen dürfte, um die es eigentlich geht.
Allerdings erschließt sich das alles nicht von selbst. Ohne das Studium der Publikation zur Ausstellung – einer Sammlung von Texten diverser Kunsttheoretiker:innen – oder den eigenen Schriften des Künstlers bleiben auch die anderen Arbeiten eher verschlossen, was zusätzlich durch die durchgängig düstere Beleuchtung unterstrichen wird.
Die Geschichte von Macht und Unterdrückung, der Friedl weltweit in vielen Regionen nachgegangen ist, lässt sich natürlich nicht ohne nachhaltiges Engagement in ein neues Licht rücken. Seine Zeichnungen – eher wilde Assoziationen als geordnete Formen – die er zwischen 1964 (vierjährig) und Ende 2021 geschaffen hat, werden hier als massiver Block von 150 gerahmten Blättern präsentiert und stehen für den Glauben an das Potential des Mimetischen. Insofern es dabei um einen Blick auf die Verstrickungen des politischen Unbewussten geht, müssen die Zeichnungen des Kindes nicht weniger prägnant sein, als die des Erwachsenen.
Friedl geht noch einen Schritt weiter, wenn er mit Giorgio Agamben das Tier in uns als wesentlich einbezieht und eine Performance mit Tierkostümen, die er für die Gäste einer Eröffnung herstellen ließ, in der Ausstellung per Video dokumentiert – neben diesen leeren Hüllen, die jederzeit wiederbelebt werden könnten.
Eine weitere Langzeitserie bildet Theory of Justice (1992–2010), eine umfangreiche Sammlung von aus Zeitungen ausgeschnittenen Bildern, die ohne Text und Kommentar chronologisch geordnet in speziellen Vitrinen liegen und eine breite Kultur des öffentlichen Protests, den Kampf mittels Bildern, zu einem anthropologischen Objekt machen, das die tieferen Schichten der Humanität betrifft.
Dreidimensional sind dann die Modelle von Häusern und Hütten, die am Detail die Materialität von Machtverhältnissen illustrieren, wenn etwa neben dem ehemaligen Wohnhaus von Nelson Mandela eine Sklavenhütte, ein Modellhaus des italienischen Kolonialismus und das Schwarzwaldhaus von Martin Heidegger stehen.
In der großen Halle liegen historische Kostüme unter einer großen Flagge – einem roten »Jolly Roger« als unmissverständlichem Todessymbol – und verweisen auf die Ära des Piratentums in der Karibik. Könnten wir diese Requisiten nutzen, um unsere finstere Vorgeschichte aufzuarbeiten, vernünftiger geworden infolge unserer inzwischen reicheren Erfahrung? Das fragt sich auch angesichts jener vier großen Marionetten, die unter dem Titel The Dramatist vier historische Personen aus verschiedensten Epochen und Sphären repräsentieren – als Herausforderung zur
Bildung einer komplexeren Perspektive in unsere Vergangenheit.
Denn die Konflikte, die hier wie dort verkörpert sind, werden uns nicht von selbst in Ruhe lassen. Unsere Freiheit wird vielmehr wesentlich darin liegen, mit ihnen nachträglich zurechtzukommen, aussichtsreichere Arten des sozialen Umgangs zu erproben – also politisch zu handeln. Und davon – das postuliert Friedls Verweigerung konsumierbarer ästhetischer Objekte unmissverständlich – lenken die meisten Kunstwerke eher ab.
Eine Ahnung davon, wie eine kollektive Praxis gewaltfreier Aufarbeitung aussehen könnte, bietet das Video Study for Social Dreaming. Es dokumentiert eine Gruppensituation, in der sich die Beteiligten Episoden aus ihren Träumen erzählen. Wettbewerb oder moralische Beurteilung spielen hier keine Rolle, die Geschichten und ihre Brüche gehen irgendwie alle an und die diskursive Bewegung hat ihr Ziel in sich selbst. Das – so könnte das Träumen weitergehen – wäre dann eine tragfähige Basis, um auch noch im Streit das gemeinsame Interesse im Kopf zu behalten.


Katalog:
On Peter Friedl, Hg. KW und Verlag der Buchhandlung Walther & Franz König, Köln. mit Beiträgen von Mieke Bal, Adrienne Edwards, Krist Gruijthuijsen, Hilde Van Gelder u.a.
2022, 280 Seiten, 24 Euro.

www.kw-berlin.de/peter-friedl/

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Michael Hauffen

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