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Martha Cooper: Taking Pictures


Martha Cooper: Taking Pictures

Als die erste Graffiti-Welle über New York hinwegrollte, lag die Niederschlagung der Massenproteste von 1966/70 noch nicht lange zurück. Der Theoretiker Jean Baudrillard interpretierte das Phänomen als eine weitere wilde Offensive, als Angriff allerdings, der sich nun gegen den medialen Terror richtete. Leere Zeichen, nämlich zumeist aus Comic-Strips entnommene Namen, wurden in großer Zahl auf Gebäude und Transportmittel gesprayt und brachten einen rebellischen Geist zum Ausdruck, der wie ein Aufschrei die Separierung in ruinöse Identitäten durchbrach.

Die Fotografin Martha Cooper war auf mehrfache Weise prädestiniert, diesem Phänomen und seiner weiteren Entwicklung mit der Aufmerksamkeit einer tiefen Sympathie zu begegnen. Einerseits hatte sie sich schon als Pressefotografin nebenbei leidenschaftlich dem Leben der Straße zugewandt und sich der Beobachtung spielender Kinder in der Lower East Side gewidmet, die einfallsreich einen Raum zu nutzen wussten, der ihnen nicht gehörte. Andererseits war die studierte Ethnologin zuvor schon tief in subcutane Bereiche einer Kultur, nämlich in die Praxis japanischer Tattoo-Künste vorgedrungen. Und nun gingen diese jugendlichen Ghettobewohner daran, ganz New York mit einem gigantischen Tattoo zu überziehen, das die hierarchische Kontrolle über sein visuelles Erscheinungsbild sabotierte.

Spätestens als 1984 Coopers Fotoband Subway Art erschien, konnte man dabei von einer ausgefeilten Ästhetik sprechen, die durch die Konkurrenz der Sprayer untereinander befeuert wurde, und dem Graffiti schließlich weltweite Aufmerksamkeit bescherte. Das Buch motivierte zudem zahlreiche Nachahmer. Es wurde zum Basis-Kompendium nachwachsender Generationen von Künstler*innen, mit denen die Fotografin weiter in Kontakt blieb und denen sie an viele andere Orte mit der Kamera folgte. Die Ausstellung versammelt zahlreiche Belege für diese dauerhafte Beziehung, wenn sie etwa zeigt, wie jüngere Street-Art-Künstler*innen Coopers Fotografien in ihren eigenen Werken zitieren.

Bekanntlich hat sich parallel zu New York vor allem auch Berlin als Brennpunkt von Graffiti entwickelt, und es ist folglich keine Überraschung, wenn Martha Cooper auch in dieser Stadt zahlreiche Aufnahmen gemacht und Freundschaften geschlossen hat. Ihr Interesse war aber darauf nicht beschränkt. Von Graffiti führt eine Linie zum Hip Hop. Cooper konnte auch da wieder eine Art von Pionierarbeit leisten, wenn sie schließlich vor allem Breakdancerinnen portraitierte, und deren Kampf um öffentliche Wahrnehmung aktiv begleitete. Es kommen weitere Sujets hinzu, die jedoch alle wegen ihrer rebellischen Insistenz in einen gemeinsamen Rahmen passen. Für ihre Portraits aus dem Alltagsleben verschiedener Nachbarschaften in New York arbeitete sie schon früh mit einer Gruppe von Volkskundler*innen zusammen, wobei sich ihr eigener Fokus neben einer genauen Beobachtung und dem Respekt vor den jeweiligen migrantischen Traditionen primär durch das Interesse an deren ästhetischer Gestalt auszeichnet, an dem Ehrgeiz etwa, der noch in kleinste Details gelegt wird. Ihr eigener Anspruch bestand nun darin, diese Ästhetik möglichst gut wiederzugeben, aber immer auch mit Hinblick auf die sozialen Kontexte, in denen sie entstehen konnte.

Wenn Martha Cooper in einem Interview resumiert, dass sie sich am meisten für Graffiti begeistert hat, also für jene Kunstform, die im Unterschied zu Street Art kein Gewicht auf die Einbeziehung community-relevanter Themen legt, dann stellt das vor allem die Verbindung von durchdachtem Plan, riskanter Ausführung und geringem symbolischen Wert heraus, als einer Fluchtlinie, die sozialkulturelle Beschränkungen hinter sich und eine Fantasiewelt Realität werden lässt.

Man kann sich natürlich fragen, wieviel heute, angesichts von Rekordpreisen auf dem Kunstmarkt und dem Einsatz für sozialpolitische oder kommerzielle Zwecke, noch von der ursprünglichen Radikalität bleibt. Heiner Mühlmann verglich Graffiti mit den Wucherungen eines Schimmelpilzes, der Gebäude wie eine Krankheit befällt. Seiner Schönheit schien das allerdings nichts anhaben zu können – im Gegenteil. Sobald jedoch separierte Werke ins Museum gelangen, bleibt davon lediglich eine blasse Spur.

Allerdings kann das vor einigen Jahren gegründete Projekt »Urban Nation«, als einer Institution, die sich den Spielarten von Street Art über eine Verbindung verschiedenster Zugänge widmet, ein breites Publikumsinteresse verbuchen, und insofern die Frage nach der zukünftigen Gestalt unserer Städte auf eine Weise kommunizieren, die das Kunstsystem so nicht bietet.

Martha Coopers Faszination für die Kulturen Ausgeschlossener und ihre Fähigkeiten zur Selbstorganisation fordert ja auch nicht nur das etablierte Kunstverständnis heraus. Es richtet sich weit mehr gegen die Geringschätzung diverser Kulturen, und leistet die praktische Widerlegung eines medienpolitischen Vorurteils, das die Vielen lieber als Gefahr konstruiert, als ihnen ihren Anteil zuzugestehen.

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Michael Hauffen

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