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ARCHIVO F.X. / Pedro G. Romero
Wirtschaft, Ökonomie, Konjunktur


Die Entscheidung des Württembergischen Kunstvereins, sich zukünftig auf die große Halle zu beschränken, ermöglichte im Fall der Ausstellung von Pedro G. Romero eine nicht nur umfangreiche sondern auch komplexe Inszenierung seines Archivo F.X., das sich als gegliederte Einheit mehrerer Cluster präsentiert, auch wenn es radikal heterogene Elemente versammelt und diskursive Lücken betont. Der besondere Ansatz des Archivo F.X. entfaltet auf diese Weise eine ganz eigene Weise Ausstellung und Ausgestelltes gegeneinander auszuspielen, und das vor dem Hintergrund des deutlichen Verdachts, dass die Grundlagen der modernen Kultur bis heute von grundsätzlicher Zerrüttung gekennzeichnet sind.
Thematisch bilden den Ausgangspunkt eher zufällige Bezüge, die Romero zwischen zwar weitgehend vergessenen, dennoch aber im kulturellen Unbewussten fortwirkenden Motiven herstellt: Einerseits den ikonoklastischen und gegen die Privilegien der Kirche gerichteten Aktivitäten in Spanien, deren Höhepunkt und Abschluss mit dem Bürgerkrieg zusammenfiel, und andererseits den ikonoklastischen Tendenzen, die die Moderne maßgeblich bestimmen, und die als Versuch einer angemessenen Antwort auf soziale und kulturelle Erschütterungen begriffen werden müssen.
Die Ausstellung beginnt also mit Fotografien von religiösen Bildnissen, die mehr oder weniger starke Beschädigungen aufweisen, und damit nicht nur die Aggression revolutionärer Milizen dokumentieren, sondern auch an moderne Kunstwerke erinnern. So drängen sich etwa Vergleiche mit George Grosz oder John Heartfield auf, Romero konzentriert sich aber auf Georges Bataille, und vor allem auf das Künstlerpaar Emmy Hennings und Hugo Ball, vielleicht weil er in deren frühen Dada-Darbietungen und der lebenslangen Treue zu dieser Geste der Negation, den entschiedeneren Bruch mit der bürgerlich-romantischen Ideenwelt hervorheben möchte. Für deren Schriften, Bücher und Dokumente wurde ein eigener Raum installiert, der formal den Prototyp eines Salon d’Or verkörpert, und in dessen goldgelbem Halbdunkel die Totenmaske von Hugo Ball neben einem Brief von Emmy Hennings zu finden ist, aus dem ihre verzweifelte Lage hervorgeht, was alles zusammen genommen in der Konsequenz den Salon selbst dekonstruiert.
Wie nahe ästhetische Pracht und Elend zusammenliegen, dürften auch die Bilderstürmer in Spanien erfahren haben, die während ihrer kurzfristigen Triumphe umstandslos Kirchen in Unterkünfte für Flüchtlinge und Glocken in Gebrauchsgegenstände verwandelten. Eine deutliche Parallele hierzu findet Romero in Joseph Beuys’ Aktion „Wandlung” von 1982, die mit dem Umschmelzen der Replik einer Zarenkrone in Hasenskulpturen ein pazifistisches Zeichen setzte. Entsprechend zum Salon d’Or wird nun für Beuys ein White Cube in die Ausstellung implementiert – und damit ein weiteres Paradigma der Moderne archiviert, das Beuys bereits zu seiner Zeit sprengte.
Romero unterstreicht die Brüche, indem er den Zentralen Bereich der Ausstellung, um den sich alle anderen Teile gruppieren, als verzweigten Backstage-Bereich definiert und designt. Hinter den Kulissen der Moderne liegt aber keine neutrale Zone, sondern eher ein Ort unüberwindbarer Brüche und der Gewalt, demgegenüber sich auch kaum die Haltung eines flanierenden Betrachters anbietet. Romero begreift ihn als Herausforderung, historische Ereignisse und Positionen nochmals zu rekapitulieren – ohne dabei den Blick für das zu verlieren, was sich nicht in die Ordnung des Rationalen auflösen lässt. So stellt das Archivo F.X. weitere Phänomene, wie etwa die Ausgabe von Geldscheinen durch die Republikaner während des Spanischen Bürgerkrieges zusammen, und geht ihrer Geschichte nach, indem es sie ebenfalls wieder mit weiteren Exponenten der intellektuellen Zeitgeschichte von Walter Benjamin bis zum Sprayer von Zürich oder von Carl Schmitt bis zu Gustav Metzger parallelisiert.
Wie unschwer zu erkennen ist, geht es diesem Archiv also bei aller philologischen Passion keineswegs nur darum, interessante Aspekte der Kulturgeschichte zu katalogisieren. Auf jeden Fall handelt es sich auch um einen Versuch, die zeitgenössische Kunst anhand ihrer eigenen Grundlagen zu relativieren, und den Raum für eine andere Bilderfahrung zu öffnen. Valentín Roma, als Kurator der Ausstellung führt den spanischen Ausdruck „El Fin del Arte” ins Feld und bezieht diese Intention auf ein zentrales Motiv der künstlerischen Avantgarde, die die Kunst als isoliertes Medium nicht nur zerstören oder beenden, sondern aufheben, also auch einem allgemeingültigen Ziel zuführen wollte.
Der Spur der unvollendeten Projekte, die sich dabei abzeichnet, folgt auch die Arbeit von Alexander Kluge, dem mit einer Black Box als dritter „Bühne” der Kunstgeschichte ein weiterer medialer Schauplatz anvertraut wird. Kluges 9-stündige Zusammenstellung von Interviews und Filmdokumenten widmet sich vor allem einem Projekt von Sergej Eisenstein, der plante „Das Kapital” von Karl Marx zu verfilmen und dabei die Hürden der abstrakten Theorie mit den Mitteln der Montagen zu nehmen. Wie schon in seinen anderen Filme sollte dazu auf Alltagssituationen rekurriert werden. Kluge registriert das Scheitern dieses Plans, nimmt aber den Faden wieder auf, und spinnt ihn weiter.
Im Backstage-Bereich findet sich dazu das Pendant eines der wenigen Filme, die während des Spanischen Bürgerkrieges gedreht wurden und 1938 beim politisierten Publikum trotz der eher banalen Handlung erfolgreich waren. Auch das Archivo F.X. strebt keine eindeutige Hierarchie der versammelten Dokumente und Ereignisse an. Vielmehr geht es um eine nochmalige Konfrontation mit widerspenstigen historischen Momenten, ihren Überschneidungen, Chancen und Verfehlungen, und vor allem mit dem, was nach wie vor als unaufgelöster Rest darauf wartet, ausgetragen zu werden. Für den Film von 1938 resultiert dies in einer weiteren Wandlungs-Aktion, die während der Ausstellung durchgeführt wird: Jedes Einzelbild wird auf Papier ausgedruckt und auf einen Stapel gelegt, dessen Gewicht eine Waage anzeigt.

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Michael Hauffen

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