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Duncan Campbell


Sein erklärtes Ziel, die vermeintliche Objektivität dokumentarischer Medien zu hinterfragen, erreicht Duncan Campbell, indem er sie zum Bestandteil einer theatralischen Inszenierung macht. Prägnantestes Element seiner Filme sind Stimmen aus dem Off – gesprochen von Schauspielern, die auf der Bildspur nicht erscheinen. Und sie versuchen auch keineswegs, dem Publikum eine konsensfähige Erklärung zu den sichtbaren Dokumenten zu liefern, sondern geben Rätsel auf, die weitere Erklärungen fordern.
In Falls Burns Malone Fiddles (2003) scheint der Sprecher mit stark schottischem Akzent (die Stimme des Schauspielers Ewen Bremner) durch die Bilder, die zu sehen sind, selbst in höchstem Maße erregt zu sein. Zunächst müht er sich in einer Art platonischem Höhlenmonolog ab, über die Begrifflichkeit vorsokratischer Kosmologien damit fertig zu werden. Er spricht von „Veränderungen im Lichtfeld”, und nur weil seine Rede den Duktus und die Nervosität eines getriebenen Außenseiters aufweist, ist man in der Lage, einen Bezug zu den Archivbildern herstellen, die über weite Strecken in der Art einer Diashow den Lebensraum der Belfaster Jugend der 70er Jahre vergegenwärtigen. Seine permanente Unruhe provoziert den Verdacht, daß er zumindest indirekt in die Konfliktgeschichte Nordirlands involviert ist, und dass die ständigen Brüche und Wiederaufnahmen seines Monologs auf die unerträgliche Erfahrung eines gescheiterten Befreiungsversuchs verweisen. Sind wir also Zeugen der verzweifelten Anstrengung eines Subjektes, das versucht, angesichts von erinnerten Bildern, eine konsistente Identität aufrechtzuerhalten und nicht verrückt zu werden?
Gerade als man sich damit abfindet, dass es bei dieser vagen Parallelität bleiben wird, ändert der Monolog die Richtung. Die Stimme ohne Körper beginnt jetzt auf einzelne Bilder zu reagieren. Erstmals räumt der Sprecher auch die Existenz anderer Subjekte ein, und deutet vormalige engagierte Debatten an. Der Name „Becker” – gemeint ist der Chicagoer Soziologe Howard S. Becker – taucht auf, und unvermittelt wechselt die Rede sogar in die Wir-Form. „Becker ermöglichte es uns, unsere Subjekte (...) statt als Komponenten innerhalb einer Serie von isolierten statischen Ereignissen, als partizipierende Teile eines Prozesses zu sehen.” Mit diesem Verweis auf die theoretische Verarbeitung eines kollektiven Geschehens diesseits metaphysischer Begrifflichkeit scheint nun endlich ein Weg angedeutet, der aus den Verstrickungen ohnmächtiger Phantasien herausführt.
Verweise auf politische Aktivitäten spiegeln sich auch auf der Bildebene wieder, wenn jetzt animierte Grafiken die Archivbilder überlagern, und mit wissenschaftlichen Diagrammen oder Zitaten aus Flugblättern konkrete Zusammenhänge betonen. Außerdem tauchen verstärkt Fotos mit politischen Parolen an Häuserwänden auf. Allerdings bleibt es bei diesen Andeutungen, der Sprecher distanziert sich von den angesprochenen Dingen manchmal bereits im nächsten Atemzug wieder. Es muss irgendwie weitergehen, aber die angesprochenen Ansätze sind offenbar gescheitert. Und Anklänge an Punk-Ästhetik haken dieses Scheitern mit aller Entschiedenheit ab, scheint doch die Gefahr, nur die alten Fehler zu wiederholen, allzu präsent.
Ähnlich mysteriös beginnt der Film Bernadette. Diesmal bezieht sich das historische Bild- und Filmmaterial auf die politische Aktivistin Bernadette Devlin, die 1969 im Alter von 21 Jahren als republikanische Abgeordnete in das englische Parlament einzog und die massiven staatlichen Übergriffe gegen die irische Minderheit anprangerte, wofür sie schließlich eine Gefängnisstrafe erhielt. Auch hier bleiben die eigentlichen Ereignisse, also die Aufstände im Nordirland der frühen 70er Jahre, bilderlos. Aber wieder deutet mehr und mehr darauf hin, dass es um die Verarbeitung des traumatischen Scheiterns kollektiven Begehrens geht. Eine diesmal weibliche Stimme beginnt zunächst Fotografien der portraitierten Person zu kommentieren, oder besser gesagt zu beschwören. Ihre innerste Selbsterfahrung soll zur Sprache gebracht werden, was eine paradoxe Unmöglichkeit darstellt, wenn man bedenkt, dass wir immer nur uns selbst von innen kennen, in diesem Innen aber eigentlich nichts ist, was nicht dialogisch verfasst wäre, oder sich eben der Sprache entzöge. In einem mittleren Teil kommt Devlin allerdings ausgiebig selbst zu Wort, denn die wie zufällig aneinandergereihten filmischen Fundstücke aus Interviews und öffentlichen Auftritten werden hier komplett mit Tonspur wiedergegeben. Durch eine abwechslungsreiche und subtil abgestimmte Montage aus dem reichhaltigen Material kommen ihre mutige und radikale Position sowie ihre Ausdauer ungebrochen zur Geltung. Die im dritten Teil wieder aufgenommene eigentümliche „Rahmenhandlung” antwortet darauf allerdings ihrer eigenen Logik gemäß mit dem Abdriften in eine rückhaltlose Dekonstruktion. Fragen nach dem möglichen Stellenwert ihrer Position aus heutiger Sicht werden erst gar nicht gestellt, sondern umgehend verdrängt von Erwägungen aus der Perspektive einsamer Leere. So schließt sich der Kreis zu jenem ungeklärten Dunkel, von dem man ausgegangen ist.
Der dritte und kürzere Film Sigmar verzichtet beinahe vollkommen auf eine dokumentarische Ebene, und zeigt den Prozess entstehender Zeichnungen als stop-motion-Animation. Man erkennt die Referenz auf einige Werke Sigmar Polkes, die der Titel andeutet. Es folgt eine montierte Kamerafahrt entlang verschiedener heller Flächen (Wandstücke mit Flecken, Tapetenmustern und anderen Strukturen), die schließlich bei der Aufnahme eines vibrierenden Tisches endet – mit Aschenbecher und Kaffeetasse von oben –, der offenbar in einer Diskothek aufgenommen wurde. Die Tonspur besteht hier durchgängig aus einem delirierenden Gestammel, dessen wenige deutsche Wörter (Ich - Nicht - Nichts - Nein - Ein) vom nicht-deutschen Sprecher als Material subversiver Lautmalerei genutzt werden. Realität wird hier weitgehend ersetzt durch eine absurde Welt abgründigen Humors. Entsprechend kann die Stimme, auch wenn sie immer noch die eines vor den Bildschirm gefesselten Wesens wäre, die eigene Haltlosigkeit in naiver Freude durchlaufen und ihre scheinbare Regellosigkeit hemmungslos genießen.
Ohne Frage rufen diese Settings und ihre Umsetzung die spätmodernen Filme Becketts oder Beispiele des frühen Experimentalfilms in Erinnerung. Adornos Begriff der negativen Utopie würde hier ebenfalls zutreffen: Denn alle Arbeiten Campbells weisen eine klare Tendenz zur Destruktion ideologischer Weltbilder auf, und unterminieren zudem jede Hoffnung auf eine gesicherte und letztverbindliche Objektivität. Aber sie setzten diesem objektiven Mangel keinen klar umrissenen Standpunkt mit bestimmten Interessen oder Vorstellungen entgegen, sondern lassen die Möglichkeit konkreter Auswege aus dem „falschen Leben” völlig offen. Mit der Referenz auf historische Kulminationspunkte kollektiven Aufbegehrens und deren Spuren in subkulturellen Praktiken gehen sie jedoch einen „kleinen” Schritt weiter, was die Hartnäckigkeit betrifft, die auf einer Fortsetzung politischer Befreiungsversuche beharrt – auf welcher Ebene und in welcher Form auch immer.

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Michael Hauffen

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