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Angela Bulloch – The Space That Time Forgot


Spätestens in der Minimal Art zeigte sich, dass der modernistische Ansatz der Reduktion nicht zu einem letzten Element der Kunst führen würde, sondern vielmehr auf eine Art von Kernspaltung zusteuerte. Die Kunst war im Zeitalter der modernen Physik angekommen, und avancierte Positionen wie die Akteure der Concept Art führten vor, wie sich dessen Paradoxien entfalten und produktiv machen ließen.
Zu der Zeit als Angela Bulloch mit ihren Rule-Series begann, war Konzeptkunst bereits eine Selbstverständlichkeit, die man wie ein Readymade aufzugreifen und für beliebige Zwecke zu adaptieren begann. Die Museums- und Galeriebesucher waren nicht mehr nur – vorgebliche oder wirkliche – Angehörige eines elitären Kreises, sondern konnten bereits eine Art Kundenstatus beanspruchen. Diese Situation brachte Bulloch reflektiert zum Ausdruck, wenn sie Listen von Regeln erstellte, die nicht abstrakt von oben herab verfasst, sondern kontextspezifisch auf bestimmte Personen oder Gegebenheiten zugeschnitten waren. Oder wenn sie die Vorführung eines Videoclips interaktiv davon abhängig machte, ob auch jemand davor saß. Die hierbei mitspielende Intention, das Wohlbefinden des Kunstpublikums als legitimes Ziel künstlerischer Arbeit zu begreifen, fand ihren Niederschlag darin, dass sie übergroße Bean-Bags in den Ausstellungsräumen verteilte und den Besuchern neben diesen komfortablen Sitz- und Liegegelegenheiten auch ausgewählte musikalische Erfrischungen bot, womit einer lockeren, entspannten und demokratischen Art, Kunst zu konsumieren, also Kunst als Pop, alle Türen geöffnet waren.
Ihre Ausstellung im Kunstbau weicht von dieser frühen Position deutlich ab. Der erste Eindruck einer stark abgedunkelten Halle, die nur spärlich mit Leuchtobjekten bestückt ist, setzt zwar die Linie fort, auf der die Künstlerin das Konzept des Chill-Out-Raums in den Museumsraum überführt hat. Eine Soundinstallation bildet dabei einen obligatorischen und integralen Bestandteil; mit ihren 24 Kanälen und der sehr zurückhaltenden Musik deutet sich allerdings bereits der Schritt hin zur ernsten, gehobeneren Sphäre an. Ein Mehr an Distanz bewirken außerdem die inzwischen nicht mehr auftauchenden Bean-Bags, sowie das Fehlen interaktiver Medien. Es verbleibt ein letzter Bezug zur Popkultur in der Referenz auf den Antonioni-Film „Zabriskie Point” sowie die Auseinandersetzung mit Problemstellungen, die der naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung zuzurechnen wären.
Die Arbeit „Z Point” setzt sich aus 48 würfelförmigen Leuchtboxen zusammen, die in einer Anordnung von sechs Reihen und acht Spalten einen extrem rudimentären Großbildschirm ergeben. Bespielt wird dieses digitale Display laut Katalogtext mit der vorletzten Szene dieses bekannten Filmes, einer Zeitlupensequenz, die die Explosion einer modernistischen Villa aus verschiedenen Blickwinkeln zeigt. Erahnbar, geschweige denn erkennbar, ist dies nicht. Allenfalls erinnert die Länge der Phasen (1 Sekunde), in der die Farben der „Pixel” wechseln, an Zeitlupentechnik. Wegen der formalen Bezugnahme auf Donald Judds kubische Objekte und der Paradoxien des Minimalismus, die diese verkörpern, könnte man hier von einer minimalistischen Wendung zur Referenzialität sprechen. Es wäre dann nicht bestimmbar, ob die Arbeit den Minimalismus verwirft oder mit der narrativen Referenz um eine zusätzliche Ebene erweitert.
Aber „Z Point” steht hier nicht für sich allein, sondern ist in einen zeitlichen und inhaltlichen Kontext eingebettet. Die übrigen Arbeiten thematisieren nämlich die Problematik der Anschaulichkeit moderner Erkenntnisse und nicht Referenzialität oder Narration als solche. Am klarsten wird, was damit gemeint ist, am Beispiel der drei Varianten von Arbeiten mit dem Titel „Night Sky...”. Die Verteilung von Leuchtdioden entspricht dabei Ausschnitten eines Nachthimmels, wie er sich nicht von der Erde aus, sondern von anderen Positionen im Weltraum zeigt. Mithilfe von Computerdaten lassen sich solche Ansichten für jeden beliebigen Punkt des Weltalls berechnen, und die dabei generierten Darstellungen sind genauso wirklich oder unwirklich wie etwa eine Röntgen-Aufnahme oder Diagramme mit Datenströmen im Internet. Das schließt aber nicht aus, dass uns diese Bilder vertraut, ja dass sie sogar mit sozialen und psychischen Konnotationen behaftet sind. Auf die Ursprünge des Versuchs einer philosophischen Verarbeitung der damit einhergehenden Widersprüche verweisen die im Raum verteilten platonischen Körper und Sternkörper, die Bulloch mithilfe von Stahldraht und Leuchtkabeln materialisiert. Sie zitieren eine lange vor der Moderne ausgeübte geometrische Kunst, die ihre Harmonie und Logik dem drohenden Abgrund eines unberechenbaren Chaos entgegenhielt.
Angesichts der heutigen theoretischen und ästhetischen Möglichkeiten wirken diese Zitate allerdings wie Schulwissen in modischem Design. Und auch die Projektion mit einer Erdkugel, die sich so unregelmäßig um alle Achsen dreht, als ob sie beschlossen hätte, den Exzess zerstörerischer Aktivität, der auf ihr kein Halten mehr kennt, wild tanzend abzuschütteln, wirkt eher sentimental als irritierend.
Die spannendsten Bezugnahmen auf den ästhetischen Raum werden durch die Arbeiten „V Point” und „F.S. Untitled” markiert. Ein liegendes V bezeichnet zugleich als Buchstabe den Fluchtpunkt und zeigt ihn als Spitze zweier zusammenlaufender Linien, die in der uns vertrauten perspektivischen Darstellung Räumlichkeit suggerieren. Als solche frei in einem wirklichen Raum hängend, provozieren und manifestieren sie den Wunsch, aus einem zur zweiten Natur gewordenen Seh-Schema auszubrechen. Ähnliche Projekte hat auch Fred Sandback mit seinen Fadenskulpturen verfolgt, auf dessen Initialen der Titel der zweiten Arbeit verweist. Es handelt sich hierbei um eine cyanfarbene Leuchtfaden-Linie, die von der Wand zum Boden läuft. Auch sie stellt eine subtile Problematisierung innerästhetischer Raumkonzepte dar, wirkt aber in der Ausstellung als Nebenschauplatz, der allenfalls additiv zu den anderen Projekten hinzutritt.
Es fehlt ein Punkt X, der die verschiedenen Ansätze, sinnvoll aufeinander, oder noch besser: auf wirklich brennende Themen beziehen würde. Mangels dessen ist zu befürchten, dass die Besucher so viel Dunkel eher abstößt, oder sich ihrer das Gefühl bemächtigt, in einem Prada-Store für intergalaktische Traum-Fänger gelandet zu sein.

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Michael Hauffen

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