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Archäologie der Arbeit


Dass die Souveränität der Kunst keineswegs Isolierung von anderen Funktionen der Gesellschaft bedeutet, sondern bestimmte Formen der Kopplung ihrer Prozesse an das soziale Geschehen impliziert, kann man sich unter anderem auch am Begriff der Arbeit vor Augen führen.
Arbeit ist nämlich nicht einfach nur die notwendige Anstrengung, der sich unterziehen muss, wer die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht bereits besitzt, sondern – wie heute mit zunehmender Schärfe erkennbar wird –, sind mit ihr organisatorische, strategische, kognitive und symbolische Momente untrennbar verknüpft. Wenn wir ganz selbstverständlich von Trauer- und Beziehungsarbeit sprechen, oder die Frage stellen, ob jemand seine Freizeit sinnvoll nutzt, deutet sich umgekehrt an, dass es zu ihr keinen eindeutigen Gegenbegriff mehr gibt, der ihr zuverlässig Kontur verliehe.
Eine Kultur der Muße kennen wir nur aus antiken Kulturen und wenn, wie jüngst in Wien zu sehen, der Künstler Július Koller das Lob der Faulheit erneuert, ist dies unzweifelhaft mit Arbeitsaufwand verbunden, der mehr oder weniger große Konflikte auslöst, die wieder verarbeitet werden – während der Traum des Nichtstuns vermutlich reine Fiktion bleibt.
Das bessere Leben lässt sich kaum mehr durch Freiheit von Arbeit definieren, sondern zeichnet sich durch Wahlfreiheit in Bezug auf die Arten von Arbeit aus, denen wir uns zu unterziehen haben. Arbeit kann kreativ sein oder sogar um ihrer selbst willen verrichtet werden, und dann als Kunst oder Selbstverwirklichung gelten, aber um diesen Zustand zu erreichen oder zu erhalten wird Vorsorge-, Absicherungs- und Erhaltungsarbeit fällig. Und man kann damit scheitern; unter anderem auch deshalb, weil niemals alle Bedingungen, denen ein Arbeitsprozess unterliegt, durch diesen selbst kontrollierbar sind.
Zum Spiel oder zum Kampf um die jeweils begehrten Positionen im Arbeitszusammenhang gehört die Möglichkeit, die Arbeit der anderen zu beobachten, und zum Beispiel festzustellen, dass sie dabei Abfall produzieren, Krankheiten verursachen oder den Kontakt zur „Realität” verlieren. Aber auch diese Beobachtungen sind Resultate von Arbeit.
Es drängt sich also leicht der Verdacht auf, dass die Arbeit eine fundamentale Unbestimmtheit enthält – und deren paradoxer Logik versucht diese Sammlung von Aufsätzen gerecht zu werden. Es macht den Reiz dieser „Archäologie” aus, dass sie von keinem einheitlichen Konzept ausgeht. Während etwa Werner Hamacher den Verdacht radikalisiert, dass der allgegenwärtige Arbeitsimperativ einen totalitären Charakter unserer Gesellschaft verbirgt, befassen sich andere Autoren mit aktuellen Entwicklungen, denen Arbeitsverhältnisse heute in rechtlicher, organisatorischer oder technologischer Hinsicht unterworfen sind. Rolf Peter Seiferle bringt den Zusammenhang zwischen Verfügbarmachung fossiler Ressoucen und kulturellem Niveau ins Spiel. Und Alf Lüdtke zeigt an Männerarbeit in Ost und West wie es bei bestimmten Arbeitsweisen darum ging, Mythen aufrechtzuerhalten, von denen Privilegien abhingen.
Für die Kunst postuliert Dirk Baecker, dass sie sich durch die Möglichkeit auszeichne, das kommunizierbar zu machen, was im Arbeitsalltag unkommunizierbar bleibt: nämlich die relative Blindheit, auf die sich einlassen muss, wer etwas produzieren will. Der Erfolg dieser ästhetischen Operation wäre dann jedenfalls kein Mythos und kein Bild positiver oder negativer Verhältnisse; eher schon eine Ahnung davon, wie Bilder, Mythen und Praktiken diese Verhältnisse strukturieren – und welche Freiheitsgrade dabei im Spiel sind.

Dirk Baecker (Hg), Archäologie der Arbeit, mit Photografien von Christoph Sanders. Kadmos Verlag, 17,50 Euro.

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Michael Hauffen

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