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Yoshitomo Nara - Clear for Landing


Hat man sich einmal in diesen Gesichtern und Blicken verfangen, dann lassen sie einen so schnell nicht mehr los. Zweifellos spielt bei dieser Attraktion, das „Kindchenschema” eine Rolle. Große offene Augen, kleine Nase, kleiner Mund – das haben diese Portraits mit all den Gesichtern gemein, die unwillkürlich einen Beschützerinstinkt auslösen. Aber damit ist der besondere affektive Wert von Yoshitomo Naras Bildern nicht wirklich erfasst. Vielleicht würde man dem Bann, den sie ausüben, näher kommen, wenn man auf die Theorie des Double-Bind zurückgriffe. Denn auch diese Comic-Portraits zorniger, verzweifelter und verletzlicher Kinder geben Signale für widersprüchliche bzw. ambivalente Gefühle, deren qualvoller Aspekt mit der Vorstellung einer Chance erlösender Befreiung verknüpft ist. Daraus dürfte sich auch der Wunsch nach Wiederholung erklären, der selbst in einer Serie von 50 Motiven, die sich nur wenig unterscheiden, die Spannung aufrecht erhält. Für Nara, den heute 45-jährigen, scheint diese Obsession sogar sein Leben zu bestimmen. Die Anfänge reichen in eine etwas einsame Kindheit zurück, wo er schon früh auch US-amerikanische Comics entdeckte und sich davon zu eigenen Zeichnungen anregen ließ.
Wichtiger als derlei biografische Details dürfte allerdings sein, wie Nara die Erinnerung an jene kindhafte Intensität, die im Erwachsenenleben normalerweise in genau abgegrenzte Reservate verbannt wird, durch seine Malerei wieder wachruft, bzw. wie er sie in dieser gesteigerten Form überhaupt erst konstruiert. Trotz oder gerade wegen der scheinbaren Unmittelbarkeit kann Naras Malerei als Technologie des Selbst aufgefasst werden, etwa in dem Sinn, in dem Michel Foucault diesen Begriff gebraucht hat.
Von seiten etablierter Institutionen pflegt der Rückgriff auf die Welt des Comics und anderer ästhetischer Standards der Trivialkultur, wie Science Fiction, Popmusik oder Kino als Zeichen minderer Qualität gewertet zu werden. Low culture kann allenfalls dann Zugang zu den Sphären exklusiver Kreise erlangen, wenn sie auf eine Weise über- bzw. umcodiert wird, die letzteren die Basis ihrer Distinktion sichert. Typische Beispiele hierfür wären die Pop Art oder neuere Varianten salonfähiger Clubkultur.
Naras Zugriff auf das populäre ästhetische Repertoire der Comics unterscheidet sich jedoch deutlich von solcher Art berechnender Adaption, die nur die Irritationseffekte des Kunstsystems im Auge hat. Dazu erteilen seine gemalten Wesen den Selbstgefälligkeiten der Hochkultur eine zu deutliche Absage und entwickeln sich gemäß einer zu eigenwilligen Logik. In einer Serie von Übermalungen dessen, was im Westen für japanische Kunst vom Feinsten gilt – nämlich die Farbholzschnitte aus dem 19. Jahrhundert – ging er derart aggressiv und respektlos vor, dass kein Zweifel mehr an der radikalen Konsequenz seiner oftmals bestätigten Verehrung des Punk blieb.
Die Portraits, die nun unter dem Titel „Clear for Landing” entstanden sind, stimmen demgegenüber zwar eine ruhigere Tonart an, bestätigen aber dennoch mit jedem Pinselstrich, dass es sich um die Bemühung handelt, eine singuläre Geste durchzuhalten, zuzuspitzen und zu verfeinern. Hierfür hat Nara zunächst spezielle Bildträger entworfen, nämlich runde, leicht nach innen gewölbte Schalen mit einem Durchmesser von 55 Zentimetern. Steht man nah genug vor ihnen, dann bewirkt die Wölbung einen gerade noch spürbaren Ansatz zur Umschließung des Betrachters, die jedoch deutlich unterschieden bleibt von jenem Höhlencharakter, wie er nicht nur für Cyberräume, sondern derzeit auch für die meisten Videoinstallationen charakteristisch ist. Die Art und Weise wie das Medium der Malerei für die Darstellung der Kinderfiguren eingesetzt wird, verrät nicht nur in dieser Hinsicht ein hohes Maß an kritischer Reflexion, die sich aber nie modernistisch verselbständigt.
Vor allem der Kontakt zu den Utopien der Jugendkulturen, sei es nun Punk oder Pop, wird an keiner Stelle vernachlässigt. So erinnern die runden Tafeln auch an Buttons oder Aufkleber, träumen den kritischen Traum von unbeschwerten Spielmöglichkeiten, versuchen aber nicht durch Monumentalität oder Betonung der Mitte den Blick zu fixieren. Im Gegensatz zur Glätte perfekt gestylter Oberflächen ist hier die oberste Schicht des Malgrundes aus Flicken zusammengestückelt, der die Malerei noch einmal bricht und damit die Verletzlichkeit, die in den Gesten der Figuren zum Ausdruck kommt, noch einmal wiederholt und unterstreicht.
Die Malerei tritt also keineswegs als ein der dargestellten Sache äußerliches, oder ihr gar unterworfenes Medium auf, sondern scheint der Idee des trotzigen Bruchs mit der Welt, in der Leistung, Effektivität und Gehorsam dominieren, absolut verschrieben zu sein. Auch wenn dieser Protest bei Nara teilweise in äußerst krasser Form zum Ausdruck kommt, wird doch die Utopie, die er einklagt, immer schon ein Stück weit realisiert, und vielleicht ist das der Grund für die zunehmende Behutsamkeit, die sich in seinen Bildern abzeichnet.
Wenn man das akzeptiert, dann könnte die Attraktivität der gemalten Figuren aus der Serie „Clear for Landing” darin bestehen, dass das Begehren, das in der Realität enttäuscht wird, und an dem sie dennoch – und nicht nur verzweifelt – festhalten, dass sich dieses Begehren in einer derart ambivalenten Konstruktion einen adäquaten Ausdruck verschaffen kann, der die Erfahrung eines echten sozialen Umbruchs zwar nicht ersetzen, aber als Möglichkeit wachhalten und favorisieren kann. Kindheitserinnerungen und Phänomene der Jugendkultur, in denen der Angriff auf herrschende Codes mit Erfahrungen des Revoltierens verflochten ist, bilden in dieser Hinsicht eine unersetzliche Ressource, die den akademischen und formalen Traditionen in der Kunst genauso überlegen sein dürfte, wie den spektakulären Inszenierungen des Kunstbetriebes.

Zur Ausstellung erscheint das dreisprachige Katalogbuch „Lullaby Supermarket” (englisch, japanisch, deutsch), 204 Seiten, Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg. DM 68,-.

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Michael Hauffen

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