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LowTech


Die Vorstellung, es gäbe für uns eine Alternative zum Leben mit Technologie, gehört zweifellos der Vergangenheit an. Wenn jedoch alles, worin wir involviert sind, irgendwie technologisch ist, dann stellt sich die Frage nach geeigneten Kriterien, die es erlauben, bessere von schlechterer Technologie zu unterscheiden. Hierher gehört der Begriff des Low Tech, der die gefährlichsten Spielarten technologischer Systemik, die sich als High Tech feiern, in eine gewisse, wenn auch nur relative Distanz rückt. Das Manifest zu der von Justin Hoffmann kuratierten Ausstellung formuliert den Sachverhalt so: „Low Tech ist die lässige Antwort auf die Mythen der Technologie und die Bedürfnisse, die eine mit ihr verbundene Industrie wecken will.”
Mythen entwickeln ihre Macht aufgrund diskursiver Strukturen, die sich über ein Netzwerk von Werten, Einstellungen und Praktiken reproduzieren. Die Ausstellung versucht daher nicht nur von der Norm des High Tech abweichende Verfahren und Gebrauchsweisen zu versammeln, sondern auch das kulturelle Zusammenspiel zu beleuchten, in dem alternative Technologie ihr Potential entfaltet.
Für das Gebiet aktueller Super-8-Filme – um damit zu beginnen – bedeutet das den Versuch, einen Einblick in die subkulturellen Strukturen zu ermöglichen, deren Austausch auf verschiedenen Ebenen für kontinuierliche Auseinandersetzung sorgt. Mit dieser Absicht wurden in Zürich und München an je einem speziellen Filmabend Stichproben gezeigt, der in München sogar in einem einschlägigen Kino stattfand. Die Super 8-Künstler Ralf Palandt (München) und David Pflüger (Basel) sind außerdem auch in der Ausstellung vertreten. Ralf Palandt zeigt mit: Der Gewalt von Rechts keine Chance (1993/99) einen Film, der antifaschistische Aufklärung mit den dramaturgischen Mitteln des Trash-Films und als raumgreifenden Loop in Szene setzt, wodurch vor allem die Befreiung von den Zwangsmechanismen offizieller Aufklärungskampagnen erreicht werden dürfte. David Pflügers Loop hat die bescheidene Länge von ca. 10 Sekunden, kann aber dafür mit den Ikonen der Avantgarde konkurrieren; was etwa Malevitchs Schwarzes Quadrat in Bezug auf das Medium der Malerei darstellt, nämlich die Offenbarung des Mediums selbst, das wird hier für das Medium des vormaligen Hobby-Filmers geleistet: man sieht den Schriftzug Super 8 wie er – was bei dieser Technologie häufiger vorzukommen pflegt – in der Hitze des Leuchtmittels verbrennt. Die sich langsam über die Fläche ausbreitenden Blasen verbinden Selbstreflexion mit dekorativen und ironischen Motiven.
Was die Einfachheit der verwendeten Technik betrifft, dürfte das Fotografieren mit Lochkameras rekordverdächtig sein. Die Gruppe Linsenfrei (München/Berlin/Hamburg) erkundet deren Vielseitigkeit und bietet auf einer eigenen Website Anweisungen zum Selbstbau von Lochkameras an, z.B. aus einer Konservendose. Im Unterschied zu Objektivkameras zeichnen sich jene durch die Möglichkeit extremer Nahaufnahmen aus. Vor allem bei der Aufnahme von Menschen bedeutet das eine grundsätzlich verschiedene Beziehung zum Körper der Aufgenommenen im Vergleich zum eher kontrollierenden und distanzierenden Blick durchs Objektiv. Man merkt den Porträtierten den Unterschied in puncto Unbefangenheit denn auch an.
Lowtech dient also keineswegs nur als billiger Ersatz für aufwendigere Technik, sondern macht Praktiken zugänglich, die in der Fixierung auf das jeweils Neueste und Teuerste regelmäßig verschüttet werden.
Für den Videobereich wird das an den Arbeiten von Sadie Benning deutlich, die eine Art visuelles Tagebuch mit einer Spielzeug-Pixel-Kamera führt, seit sie 15 ist. Thematisch dreht sich das Video If Every Girl Had a Diary (1990) um ihre Rolle als junge Frau und Lesbe, und sie richtet daher die Kamera sowohl auf sich selbst als auch auf ihre Umgebung. Heute ist sie erfolgreiche Künstlerin und Musikerin (Le Tigre) und verfügt auch über moderne Kameras, kehrt jedoch sowohl zu den alten Aufnahmen wie auch zur alten Technik immer wieder zurück. Frühe Erinnerungen vermischen sich mit gezielt eingesetzter Verfremdung, die eine ungewohnte Nähe zu den dargebotenen Eindrücken vermittelt.
Noch entschiedener wird die Absicht, zusammen mit technischer Präzision auch das normale Zuschauen zu unterlaufen, im Projekt VinylVideo™ aus Wien, für dessen alle Standards unterbietenden Output eine neue Technologie entwickelt wurde. Nostalgischer Charme strömt davon aus, weil das Medium, auf dem die Kurzfilme gespeichert werden, eine herkömmliche Vinylplatte ist, die auf jedem alten Plattenspieler abgespielt werden kann. Dazu kommt ein vorerst nur als Prototyp verfügbares Gerät, das die Information von der Plattenrille in Video- und Tonsignale transformiert, wobei Auflösung und Bildfrequenz nur sehr niedrige Werte erreichen. Aber gerade durch das grobkörnige Flackern am Bildschirm wird man herausgefordert, nicht nur hinzusehen, sondern sich mit den Eindrücken auseinanderzusetzen. Besonders eindrücklich wird dies bei einer Produktion, die Vuk Cosic und Alexej Shulgin zu VinylVideo™ beigesteuert haben. Sie kombinieren grob synthetisch nachgespielte alte Popsongs mit absurden Wanderungen von Bildpunkten unter der Bezeichnung Cyberpunk Rock 386 DX. Bild und Ton wirken denn auch wie aus Urzeiten wieder auftauchend und fordern die Ergänzung durch eigene Erinnerungen herauf, die eine perfekte Konserve eher verdecken würde. Exklusiv für LowTech wurde eine Bildplatte von Kristin Lucas produziert: Auf der Tonspur wird viel gescratcht und auf der Bildspur tauchen in Analogie dazu Bilder vom Rubbeln und von Computerspielen auf. Was dadurch angeregt werden soll: dass auch der Betrachter seinerseits mit der Bildplatte scratcht, was hier im Unterschied zum normalen Video durchaus möglich ist.
Eine Spielkonsole von KONSUM Art Server zeigt einen ganz ähnlichen visuellen Verfremdungseffekt, nämlich die Darstellung von Bildern aufgelöst in ASCII-Code, wie wir es von den ersten Computerfreaks kennen. In diesem Stil lassen sich auch Videosequenzen konvertieren; da fehlt eigentlich nur noch ein Programm, das darauf achtet, dass die Buchstaben auch sinnvolle Texte ergeben!
Natürlich spielt bei der Low-Tech-Kultur auch der ökonomische Gesichtspunkt eine Rolle. Das zentrale Motiv ist er für die Aktivitäten der Künstlergruppe Redundant Technology Initiative (Sheffield). „Lowtech is street level technology” heisst es in ihrem „Lowtech Manifesto”. Es handelt sich darum, in einer seit dem Ende des Bergbaus extrem armen Region Englands Zugang zum Computerbereich zu erlangen, ohne dafür nicht vorhandenes Geld ausgeben zu müssen. Da anderswo noch voll funktionsfähige Geräte als überholt gelten, war es für die Initiatoren relativ einfach, ihr Ziel einer „zero cost technology” für ein frei zugängliches Zentrum zu realisieren.
Gegen den Stress, der damit verbunden ist, permanent neue Gadgets erwerben zu müssen, und gegen die subtilen Konditionierungen, richtet sich auch die Arbeit der amerikanischen Formation Critical Art Ensemble. In der Ausstellung ist diese mit einer Website zum Thema humaner Fortpflanzung vertreten. Unter dem Titel The Society for Reproductive Anachronisms (SRA) werden dort verschiedene Formen reproduktiver Normalität auf eine sarkastische Art dargestellt, die Verbindungen zu eugenischen und gentechnologischen Denkweisen erkennen lassen. Für die letzten beiden Gruppen war übrigens die die Ausstellung ergänzende Diskussionsveranstaltung wichtiger Bestandteil ihrer Selbstdarstellung. Steven Kurtz von CAE konzentrierte sich darauf, die systematische Verwechslung überflüssiger Produkte mit wirklichen Vorteilen als die große Falle amerikanischer Konsumkultur darzustellen. Dahinter stehen allerdings mächtige Interessen, die bis zum Vorhaben der Star-War-Systeme reichen, von denen allerdings bis heute nicht sicher ist, ob sie jemals funktionieren werden. Eine weitere Referentin der Diskussionsveranstaltung in München, Silvia Bauer, brachte dagegen eine feministische Perspektive zur Geltung, wenn sie die Strukturen, die sich im Computerbereich entwickelt haben, als Spielwiese von kleinen Jungs beschrieb, die gerne unter sich bleiben wollen, und deshalb Frauen lieber ausschließen. Dass die durchschnittliche Mentalität, aus der heraus nicht nur Kriegsspiele betrieben werden, Gefahren in sich birgt, daran zweifelt in der Lowtech-Szene sicherlich niemand. Die Frage ist also, wie man auf die eigene kulturelle Umwelt einwirken kann, damit die scheinbar gradlinige Entwicklung hin zu immer unkontrollierbarer Technologie mit ihrer Logik des Sachzwangs gebrochen wird. Dass das Operieren am Rande der Felder von Kunst, Technik und Theorie hierfür noch Ressourcen bereithält, das versuchen auch eine Reihe von Texten herauszustreichen, die in der Fabrikzeitung (Zürich) erschienen sind. Georg Stanitzek verteidigt darin den systemischen Wert des Dilettantismus, und Nina Stuhldreher (von der Gruppe Linsenfrei) fasst den erwünschten Effekt der Experimente mit allem, was es außer HighTech noch gibt, so zusammen: „Die Schnittstelle Mensch-Maschine verschiebt sich in Richtung Mensch” – allerdings nicht ohne zuvor angemerkt zu haben, dass auch Tiere und Außerirdische beteiligt werden sollten.

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Michael Hauffen

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