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Bettina Allamoda - Les artistes decorateurs


Gegenüber dem Stellenwert dekorativer Momente innerhalb der Kunst war das Urteil der klassischen Moderne eindeutig. Während es dennoch immer schon Gegentendenzen gab, blieben diese doch insgesamt über lange Zeit peripher. Erst in der Ära der Postmoderne begannen Einsprüche dagegen, historische Wiederaufnahmen des Verfahrens oder trotzige Missachtungen des verhängten Verbots die Regel zu werden. Wenn das Ornament immer noch als Verbrechen eingestuft zu werden hätte, dass müsste die Kunst heute als der Korruption verfallenes System betrachtet werden.
Die Aufhebung der Grenzen zur Alltagskultur stellt allerdings das Selbstverständnis der Kunst als Dissidenz in Frage. Entweder muss die Anerkennung aus dem elitären Kanon ausgegrenzter Kulturformen wie Pop und Kitsch als Rehabilitierung oder Entdeckung kritischer Potentiale gesehen werden können, oder man zieht sich auf jene bescheidenere Variante von Exklusivität zurück, die nur den echten Kennern die Partizipation der kritischen Botschaft gestattete, während eine triviale und dekorative Aussenseite dem nur ein zeitgemäßes Äußeres hinzufügt.
Inmitten der Ungelöstheit dieser Situation drängte infolge der Auflösung des „realen Sozialismus” plötzlich noch die ganz andere Variante einer Dekoration im Spannungsfeld zwischen Tarnmaske für Abweichung und offizieller Propaganda ins Blickfeld.
In diesem Kontext ist die Arbeit von Bettina Allamoda interessant, in der die Auseinandersetzung mit den übersehenen, verdrängten, aber auch ästhetischen Potentialen der Trivialkultur einen wichtigen Stellenwert einnimmt.
Mit Bezug auf das Werk eines Gebrauchsgrafikers der DDR ging Allamoda der Problematik in einer Serie von Arbeiten nach, die unter anderem im Kunstraum München ausgestellt wurden. Detlef Uttikal, der als Angestellter der VEB Carl Zeiss Werke in Jena arbeitete, kann das generelle Dilemma dissidenter Kunst in der DDR stellvertretend deutlich machen. Weil er es ablehnte, Bekenntnisse zur Partei abzulegen, wurde er aus Kunstausstellungen ausgeschlossen und war auf den Nebenschauplatz angewandter Kunst verwiesen. Er befasste sich unter anderem mit der Wandgestaltung des Optischen Museum, wo es ihm unter Anwendung einer Reihe von Kunstgriffen gelang, die verschiedenen Einschränkungen, denen die Sammlung unterworfen war, zu kompensieren, und ihr dennoch das trostlos Didaktische oder das technisch Spektakuläre zu ersparen. „Ich wollte den Betrachter mit der Großwand in eine bestimmte Stimmung versetzen und das übertünchen, was man einfach nicht an Exponaten in der Vitrine hatte.”
Womöglich kam er damit einigen Positionen der westlichen Kunst, die immer wieder abstrakte und biomorphe Elemente in Verbindung gebracht hat, ziemlich nahe. Allamoda konnte einige Teile dieser Wandmalereien vor der Entsorgung retten. Sie hat sie in Objekte integriert, die das Verhältnis von Dekoration, Kunst und ihren Themen neuerlich in wechselseitige Unsicherheit versetzt. Wird Kunst abgewertet, wenn sie den white cube verlässt, und in dekorative Kontexte versetzt wird? Im Gegensatz zu Verfechtern des Modernismus (Beispiel: Clement Greenberg), die sich allerdings auch Bilder ins Wohnzimmer zu hängen pflegen, und damit den ornamentaler Charakter der Kunstwerke wiedereinführen, zeigen Künstler wie Andy Warhol immer schon ein offensives Verhältnis zur drohenden Vereinnahmung durchs Ambiente. Er hängte einige seiner Bilder in die Schaufenster eines Kaufhauses und bezog daraus Spannung – erkennbar allerdings nur für die Betrachter, die seine Inszenierung als künstlerische Strategie erkennen konnten.
Allamodas Bezugnahme auf diese verschiedenen ausgesprochenen oder unausgesprochenen Programme bezüglich der Strukturen, die Kunst und Leben miteinander koppeln, wird durch die Zusammenstellung dieses Buches ein gutes Stück über den Rahmen von Katalogtexten hinaus vertieft. Es stellt neben ihren Installationen, die den Blick für das Heterogene innerhalb der Strukturen subtil provozieren, eine eigenständige Spur, ein wesentliches Supplement dar. Neben dem Interview mit Uttikal finden sich eine Reihe anderer Erörterungen der Problematik. Christoph Tannert zeichnet noch einmal das historische Geschehen in der DDR nach, und beschreibt den wachsenden Widerstand der Künstler gegen die Restriktionen offizieller Politik als den Austragungsraum ihrer Dissidenz.
Im Westen bedeutet die Verteidigung dissidenter Positionen vor allem den Kampf gegen die Vereinnahmung durch den Markt. Was dort die Nomenklatura ist hier die Instanz der Galeristen. In einem Interview, das Allamoda mit Richard Hamilton führen konnte, schildert dieser die unerträglichen Arbeitsbedingungen bei Gelegenheit der Documenta IV, wo Galeristen die Arrangements wesentlich mitbestimmten. Demgegenüber war die Documenta X eine der seltenen Ausnahmesituationen, die den Markt weitgehend in den Hintergrund verwies.
Aber auch ausserhalb der Marktgesetze lassen sich ornamentale Züge nicht vermeiden, insofern sie eine Grundlage gesellschaftlicher Kommunikation und ihrer Wahrnehmung bilden. Basisdemokratische Ansätze forderten deshalb die Wiederaneignung dekorativer Potentiale, wie Justin Hoffmann mit Verweis auf Hans Heinz Holz erinnert. Während hier die offenbare Vielfalt gegen die Herrschaft des Exklusiven verteidigt wird, was mangels künstlerischen Raffinements jedoch oft langweilig wird, führen gegenwärtig wieder Kunstformen, die sich auf den gesellschaftskritischen Aspekt der Avantgarde berufen, Dekoratives als untergeordnetes Moment ästhetischer Beeinflussung ein, und werden so der potentiellen Freisetzung polyvalenter Strukturen, durch die sich künstlerische Operationen auszeichnen, ebenfalls nicht gerecht.

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Michael Hauffen

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