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John Bock


Bei vielen Beobachtern hinterließ die Berlin-Biennale den Eindruck einer in sich konturlosen Menge junger und vitaler KünstlerInnen, die es sich in einem neuen Berliner Milieu von Clubkultur und heimeliger Sorge um eine unbelastete Identität bequem zu machen versucht, und dabei die Auseinandersetzung mit allem anderen auf das Streben nach dem großen Erfolg beschränkt. Die Installation von John Bock fiel in diesem Kontext deshalb auf, weil sie das Verhältnis dieser neuen Boheme zum per Promotion-Kampagne ausgelösten Publikumsansturm zumindest zu reflektieren schien. Um es kurz zu rekapitulieren: in der dortigen Installation war der Ausstellungsraum des Künstlers horizontal zweigeteilt, so daß für die Besucher in der oberen Hälfte nur mehr eine Art Dienstbotenmansarde blieb, in dem sie in gebückter Haltung übereinander stolpern konnten. Unter ihren Füßen verborgen befand sich das unterschlupfartige "Künstlermilieu", für dessen Existenz und Bewohntheit nur einige irritierende Requisiten und kleine Löcher im Boden als Indizien fungierten, aus denen manchmal, so wollten es zumindest manche gesehen haben, plötzlich eine Hand, oder irgendwelche Reflexe und Geräusche nach oben dringen konnten.
Es trafen hier also zwei Welten aufeinander, ja sie scheinen voneinander angezogen zu werden, ohne daß man genau gewußt hätte, was sie eigentlich verbinden soll. Auf der Ebene des Publikums findet sich an Stelle der versprochenen Verführung durch kreative Leistungen eher eine Abwehrreaktion, und auf der Künstlerebene verkehrt sich der Traum vom strahlenden Erfolg in den Wunsch nach Rückzug ins Dunkel einer abgeschlossenen Sphäre, sowie einer negativen Stigmatisierung seiner sozialen Existenz.
Wie schon betont wurde, spielt aber die entscheidende Rolle der Umstand, daß diese Spaltung selbst als Einheit vorkommt, und damit zur Auseinandersetzung mit seinen Ursachen provoziert. So wie sich das Publikum an dieser Stelle fragen konnte, was es eigentlich erwartet hatte, wenn es sich hiervon abgestoßen oder zumindest unangenehm berührt fühlte, so konnte man auch erwarten, daß sich auf seiten des Künstlers die Problematik der Grenze zwischen seiner intimen und seiner offiziellen Ebene noch weiter explizieren und modifizieren ließe.
Eine Gelegenheit hierzu ergab sich mit der Einladung des Künstlers in die Galerie der Stadt Schwaz, die weit genug von Berlin entfernt sein dürfte, um seine Position auf die Individualprobe stellen zu können. Es zeigt sich dabei zuerst, daß John Bock, der aus Itzehoe stammt, und in Hamburg studiert hat, vor allem Performance-Künstler ist. Der für Schwaz realisierte Auftritt erhält in seiner fortlaufenden Liste von Veranstaltungen die Nummer 36 und trägt den Titel "1 Mio $ Knödel Kisses".
Die Ausstellung zeigt den Zustand des Raumes, wie er nach der Performance zurückgeblieben ist. Neben den verschiedenen sperrigen und skurrilen Requisiten, die in ihrer Zusammensetzung aus verschiedenen Schrottarten wie Stoffen und Plastikutensilien einschließlich Rasierschaum und Elektrogerät, an irgend etwas zwischen absurdem Theater und Geisterbahn denken lassen, verweist eine große Wandzeichnung auf den Ablauf der Aktion, die durch eine Videoaufzeichnung auch nachträglich mitverfolgt werden kann.
Die Handlung beginnt mit einer Art abstrusem Bauerntheater – ein Mann und eine Frau scheinen den alltäglichen Feierabendzank zu praktizieren, und die merkwürdigen Möbel- und Kleidungsstücke für normale Bestandteile ihrer interaktiven Routine zu halten – bis zwei andere Figuren, die eher Projektionen der Phantasie repräsentieren, die Handlung stören, die schließlich in einem infernalischen Desaster endet. Erst danach taucht aus einer Art Sarg der Künstler selbst in der Szenerie auf. Wenn bis dahin offensichtlich professionelle Schauspieler ein genau geplantes Stück aufgeführt hatten, konnte man jetzt annehmen, daß der Künstler selbst das Feld übernehmen würde, womit das klischeehafte Theaterfragment nachträglich als Rahmenelement einer authentischeren Ausdrucksform liquidiert worden wäre. Ob und inwieweit diese für das Medium der Performance wesentliche Kluft zwischen anonymer Regie und unmittelbarer Präsenz hier die ihr eigentümliche Irritation erzeugte und den konventionellen Charakter einer konsumierbaren Aufführung störte, muß wohl eher bezweifelt werden. Auch der Wert der Tatsache, daß der Bruch zwischen realer Aufführung und ihrer nur vermittelten Zugänglichkeit über Video, die Bock bei anderen Gelegenheiten mehrfach thematisiert hat, indem er wie auch in Berlin, die reale Aktion weitgehend verbarg, hängt von dieser Frage ab.
Übrig bleibt also eigentlich nur der Inhalt von Bocks theatralischem Monolog. Schon der erste Satz, "Ich bin eine Isoquantenschar", gesprochen von einem kostümierten und geschminkten Jüngling, enthält dessen wesentliches Programm. Mit Rudimenten wissenschaftlichen Jargons werden Fragen aus dem psychologischen und künstlerischen Kontext abzuhandeln versucht. Daß das nur in komischen Abstrusitäten enden kann, ändert allerdings nichts an der Realität der Fragen, die in der Spannung zwischen Leben und Gesellschaft entstehen. Natürlich kann auch die Lösung zum Lachen reizenden, gestotterten und gegen die guten Sitten verstoßenden verbalen Unsinns einen gewissen Wahrheitswert für sich beanspruchen. Bock, der anfangs Wirtschaftswissenschaften studiert hat, dürfte damit eine prekäre Erfahrung zum allgemeingültigen Ausdruck bringen. Angesichts stetig steigenden Bildungsdrucks einerseits und in jeder Beziehung abnehmenden Lebensraums andererseits wächst der Mangel an Gelegenheiten zum Ausgleich. Wo nicht anders möglich, bleibt dafür nur der Rückzug in regressive Formen. Aber auch hierbei läßt sich unterscheiden zwischen Formen, die die verursachenden Spannungen intakt lassen und wie im inflationär sich ausbreitenden Genre der Comedy letztlich affirmieren, und solchen, denen es gelingt, die ideellen und konventionellen Voraussetzungen der Konflikte selbst zu dekonstruieren. Letzteres könnte man mit einem Begriff der Kultur in Zusammenhang bringen, der auf kommunikativer Verarbeitung von Komplexität beruht. Für den Weg dorthin werden amibitionierte künstlerische Ansätze, die das Risiko experimenteller Dekonstruktion festgefahrener Denkmuster eingehen, zumindest als Anregung dienen können.
John Bock bringt in einer verwandten Methodik neben den schon erwähnten Elementen aus Kunst und Wirtschaftstheorie als weiteren Topos noch den der Sexualität ins Spiel. In der Performance fungiert eine der Schauspielerinnen kurzerhand als Bestandteil der Formel, in der das "Kunstoptimum" berechnet werden soll. Das Ungleichgewicht, das aus dem Wunsch nach Küssen entsteht, muß durch einen höheren Wert bezüglich der Einschätzung ihres Pos ausgeglichen werden. Was dabei herauskommt, läßt sich jedenfalls nicht genau angeben. Ähnliches gilt für die dem Künstler ebenfalls am Herzen liegende Frage nach dem Erfolg. Auch hier scheint er darüber in Wut zu geraten, daß sich die anonymen Gesetzmäßigkeiten des Marktes nicht in sichere Operationsregeln transformieren lassen. Bleibt also nur der verzweifelte Rückzug in den wildromantischen Untergrund?
So bleibt vieles nur angedeutet in Bocks Arbeit. Ob es am Ende bloß witzige Formulierungen bekannter Probleme waren oder mehr als das, wird sich noch erweisen müssen. Wenn jedoch die ironische Behandlung der Probleme, die ein junger heterosexueller Mann mit den Mädchen und seinem Erfolg hat, nur zu der Form führt, die darin besteht, sich selbst als bizarre und spektakuläre Verkörperung durchschnittlicher Wünsche zu zelebrieren, dann wäre es nicht mehr als Show.

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Michael Hauffen

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