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George Spencer Brown - Laws of Form


Wie Grenzziehungen zu bewerten sind, ist eine Frage, die sich immer erst stellt, nachdem schon Grenzen gezogen wurden. Fällt die Bewertung negativ aus, ist das eine weitere Grenzziehung. Allerdings könnte so eine Grenzziehung implizieren eine andere aufzuheben. Beispielsweise ist die Kunst für manche ein Bereich, der sich aus der Gesamtheit menschlicher Praxis ausgrenzt, um von dort aus an der Aufhebung naturwüchsiger Aufteilungen zu arbeiten.
Wenn also nicht der Fall eintritt, daß sich der Bereich der Kunst immer mehr abgrenzt, und etwa in Richtung Kulturdesign immer enger begrenzt operiert, kann sein Rahmen hemmungslos einen Bezug zu allen möglichen Dingen wie Natur, Flaschentrocknern, Videotechnik oder Mathematik herstellen. Und auch von diesen neuen Feldern aus, die dann im Bereich der Kunst einen Subbereich definieren würden, mit speziellen Verbindungen zu anderen Bereichen, könnten wieder neue Gebiete angepeilt werden, die ebenfalls ...
Für die Mathematik, die hier vorgestellt werden soll, ist das Vereinfachen auch kompliziertester Verschachtelungen dieser Art fast ein Kinderspiel. "Gesetze der Form, Laws of Form", lautet der Titel einer auf den ersten Blick äußerst simplen Arithmetik. Deren theoretisches Konzept kann sogar für sich verbuchen, im Bereich der Kunst nicht ganz unbekannt zu sein. Der Soziologe Niklas Luhmann hat nämlich für seine einschlägig bekannte Systemtheorie an zentraler Stelle Begriffe verwendet, die dem berüchtigten Buch von George Spencer-Brown entstammen.
Obwohl sich die Übersetzung des englischen Originaltextes über 30 Jahre lang immer wieder verzögert hat, kann man nicht behaupten, die Theorie sei bereits veraltet. Im Gegenteil stellt sie die Boolsche Algebra – auf deren Basis (Laws of Thought) beispielsweise Computerprogramme funktionieren – als überholt dar. Im Unterschied zu deren Logik, die darauf beruht zwei Werte zu unterscheiden, nämlich Null und Eins bzw. Wahr und Falsch, erlaubt die von ihm so genannte "primäre" Algebra die dazwischenliegende Grenze als Quelle von Dynamik ins Spiel zu bringen.
Welche Möglichkeiten sich mit diesem Ansatz bieten, illustriert schon Spencer-Browns Biographie. Er entwarf damit für Sicherheitssysteme von British Railway eine Zählmaschine, gründete eine Schule für begabte Kinder, bewies das 4-Farb-Theorem, das bis dahin als unbeweisbar galt, und zögerte nicht, sich selbst mit Buddha zu vergleichen.
Um sich durch die 12 Kapitel der Theorie und ihre verschiedenen Kommentare durchzuarbeiten, ist vor allem nötig, die Regeln, die man in der Schule gelernt hat, wieder zu vergessen. Es geht dann um nichts weniger als darum, sich auf die grundlegende Operation der Unterscheidung zu konzentrieren, die immer schon stattfindet, wenn etwas betrachtet wird. Auf einer zweiten Ebene läßt sich aber die schon gemachte Unterscheidung zwischen Innen und Außen nochmals ins Innere der Unterscheidung einführen. Dieses "Re-Entry" erlaubt dem Beobachter sich selbst und die von ihm beobachtete Welt in eins fallen zu lassen. Spekulationen bezüglich essentieller Substanzen, die der Beobachtung immer schon vorausgehen, wie "Ding an sich" oder "Mensch", sind damit überflüssig. Die Welt ist so, wie sie sich dem Beobachter zeigt, der sie selbst durch seine Beobachtung erzeugt. Die Welt sieht sich also im Beobachter selbst.
Daß eine solche Betrachtungsweise die Grundfeste klassischer Natur- wie Geisteswissenschaften in Bewegung bringt, braucht wohl nicht erst betont zu werden. Ähnlich wie der Chaostheorie kommt ihr damit eine Bedeutung zu, die den Bereich mathematischen Spezialistentums überschreitet. Falls das Buch auch im Kunstkontext Karriere machen sollte, wäre allerdings zu hoffen, daß ihm die spektakuläre Rolle phantastischer Esoterik erspart bleibt, wie sie zuletzt etwa "Gödel, Escher, Bach" von D. Hofstetter widerfahren ist. Immerhin neigt Spencer-Brown nicht dazu, menschliche Kreativität und Spontaneität mit den Mechanismen zu vermischen, die sich durch elektronische Schaltungen ausführen lassen. So widmet er auch einige Aufmerksamkeit der Frage, wie eine grundsätzlich neue Sichtweise entstehen, und wie sie verständlich werden kann. Davon könnte auch eine Kunst, die nicht nur Effekte, sondern Tiefe erzeugen will, einiges lernen.

George Sprencer-Brown: Gesetze der Form. Laws of Form. Aus dem Englischen von Thomas Wolf. Bohmeier Verlag, Lübeck 1997. 200 S. DM 80,-.

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Michael Hauffen

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