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Andreas Slominski - Über die Freundschaft


Zwei seiner bekanntesten Werke haben mit Fahrrädern zu tun: einmal jener Fahrradreifen, der „um” eine Straßenlaterne liegt, einmal das im Museum ausgestellte Fahrrad eines Obdachlosen. Das Fahrrad als Alltagsobjekt repräsentiert dabei den weniger spektakulären Teil in einer Gesellschaft der Beschleunigung. Und sowohl der einsame Reifen als auch das unter den Habseligkeiten verschwindende Vehikel legen die Betonung zusätzlich auf den Aspekt prekärer Existenz.
Dieser Spur folgt auch eine lange Reihe weiterer Arbeiten des Künstlers, der vor allem den verschiedenen Aspekten von Fallen umfangreiche Studien gewidmet hat.
Spannend werden diese spätestens dann, wenn das Kunstwerk selbst unter den Verdacht gerät, eine Falle zu sein, und der hehren Kunstsphäre den versöhnlichen Charakter „freier” Kommunikation absprechen. Solcher Zweifel impliziert die Herausforderung, naive Illusionen zu durchschauen, und ihre Mechanismen, ihre Nutznießer und ihre Opfer zu identifizieren, womit letztlich auch Phänomene wie Ideologie, Verblendung und Konditionierung zum Gegenstand ästhetischer Ansätze werden.
Kurz gesagt liegt in der Thematik aufklärerisches Potential, denn Slominskis Fallen präsentieren sich nicht nur als metonymische Sinnbilder einer Welt, in der die einen von den anderen ausgebeutet werden, sondern sie werfen selbst Fragen nach ihrer Absicht und ihrer Position auf und zwingen die Betrachter geradezu zur kritischen Reflexion.
Die Ausstellung im Berliner n.b.k. empfängt den Besucher mit einer illustrativ ins Schaufenster gestellten leeren Ziegelmauer, einer unvollständig zusammengebauten Blechgarage, einer Reihe von Abschleppschildern und ein paar weiteren obskuren Gegenständen. Angesichts dieses scheinbar absurden Sammelsuriums hilft es auch wenig, wenn man weiß, dass Slominski Garagentore als Anspielung auf deren Fallencharakter schon mehrfach verwendet hat. Erst nach einem kleinen Spaziergang, zu dem die Ankündigung der Ausstellung einlädt und der Information, dass dieser Spaziergang zum nahegelegenen Brecht-Haus führt, ist man in der Lage, die Andeutungen zu dechiffrieren und die Spur aufzunehmen. Am Brecht-Haus hat der Künstler ein weiteres Abschlepp-Warnschild angebracht, allerdings in chinesischer Schrift, womit sich ein Bezug zum Titel der Ziegelmauer – „Chinesische Mauer” – herstellt. Spätestens jetzt wird auch klar, dass der Text, der in der Ausstellung auf einem Paar von Abschleppschildern zu lesen war, eines jener Gedichte Bert Brechts aus dem Zyklus „Chinesische Gedichte” wiedergab, die bei ihm mit der Signatur „Unbekannter Dichter, um 100 v. d. Zt.” versehen waren. Brechts Vorliebe für eine Idealisierung der fernöstlichen Kultur wird allerdings ganz direkt mit Indizien der gegenwärtigen Realität konfrontiert: nicht nur die Ziegel der ausgestellten Wand, auch ein weiteres Exponat, „Paket aus China” verweisen auf das globale Machtgefüge, in dem das Reich der Mitte inzwischen eine Vorreiterrolle als Produktionsort und Profitsystem eingenommen hat. Der Kontrast zwischen Abschleppschildern – die übrigens auch als Zeichen für eine Falle interpretiert werden müssen – und den hoffnungsvollen Gedichten könnte nicht größer sein. Aber um den illusionslosen Blick auf vom Scheitern bedrohte Projekte dürfte es hier auch gehen. Beispielsweise ist die Referenz auf Brechts geliebten Sportwagen, den er in der nun mit dem Abschleppschild verzierten Garage zu parken pflegte, himmelweit entfernt von jeglicher Fetischisierung, und hinterfragt vielmehr die Bedeutung und den Stellenwert jenes seltenen Elite-Produktes der DDR, nämlich eines EMW 327, für den politischen Dichter. Auch die anderen Variationen über das Motiv „Abschleppschild”, die in der Ausstellung noch zu sehen sind, geben bei genauerer Betrachtung Rätsel auf, und legen keine bequemen Antworten nahe. Eines davon wurde so abgeändert, dass es eine Art Synthese aus Parkverbotsdrohung und Grabkreuz darstellt, und somit die Schnittstelle zwischen dem Reich der Toten und der Lebenden quasi als Kampfzone, als Konfliktbereich definiert. Und dieser Zusammenhang konkretisiert sich im Rahmen der Ausstellung in einem weiteren Bereich, der bisher noch nicht angesprochen wurde, nämlich dem Dorotheenstädtischen Friedhof, der den Zwischenraum zwischen dem Gebäude des n.b.k. und dem Brecht-Haus ausfüllt. Auf diesem Friedhof liegen neben Bert Brecht und Helene Weigel auch so prominente Intellektuelle wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, John Heartfield, Hans Eisler und Heiner Müller begraben (um nur einige zu nennen). Und am Eingangstor zu diesem Friedhof hat Slominski ein ganz „normales” Abschleppschild befestigt, das nun die Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen Mobilität und Immobilität, zwischen Straße und Geistesgeschichte markiert.
Die Vorgehensweise, in komplexen Zusammenhängen eine unerwartete Auswahl von Bezügen zu treffen, die zwar vielfältige Hintergründe erschließt, aber sich selbst und ihre Motive in Rätsel hüllt, zieht sich durch alle Arbeiten. Für die „Chinesische Mauer” wurde eine Versicherung gegen Beschädigungen abgeschlossen, die ein eventuell durch die Glasscheibe fahrendes Auto verursachen könnte, worüber drei Vertragskopien informieren, die in der Blechgarage mit Tesafilm befestigt sind. Eine Krawatte, die Slominski im musealen Bereich des Brechthauses platziert hat, wurde angeblich zuvor von Bergsteigern eigens bei einer Besteigung der Eiger Nordwand mitgeführt. Und auch das Objekt mit dem Titel „Bett eines Dichters” besteht nur aus grobschlächtig geschnitzten Styroporteilen, die einem spontan gebastelten Puppenhaus entnommen sein könnten.
Der Titel der Ausstellung „Über die Freundschaft” schlägt ein weiteres großes Thema an, erscheint dann aber in seiner Eigenschaft als Überschrift einer Versammlung von Dingen, die vor allem Fragen und Probleme aufwirft, ebenfalls wie das Fragment eines historischen Projekts. Brecht charakterisiert im bereits erwähnten Gedicht Freundschaft als gegenseitige Hochschätzung, die sich von sozialen Positionen nicht korrumpieren lässt. Die darin enthaltene Symmetrie ist es, die den Fallen und den Abschleppschildern fehlt. Die Verteilungen von Macht und Reichtum sind asymmetrisch, und wer glaubt, davon irgendwo unabhängig zu sein, steckt womöglich bereits in der Falle der Illusion. Insofern scheint es schon besser, skeptisch zu bleiben, und sich in kritischer Beobachtung zu üben, wobei künstlerische Ansätze wie dieser, gerade aufgrund ihrer Negativität, ungemein hilfreich sein können. Und womöglich ist das ja auch ein Punkt für Hegel oder Brecht – womit zumindest in der Theorie die Geschichte ihrer Projekte noch nicht entschieden und das Urteil über die Möglichkeit symmetrischer Beziehungen und andere Utopien noch einmal aufgehoben wäre.

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Michael Hauffen

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