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between appropriation and interventions


Im Eiltempo werden im Zentrum von Berlin die letzten Lücken im urbanen Gefüge geschlossen, die durch die ehemalige Teilung der Stadt für eine vergleichsweise große Zahl an Brachflächen und nur vage definierten Räumen gesorgt hatten. In der Kunst spielt die Sensibilität für die Bedeutung solcher offener Bereiche seit jeher eine große Rolle, sei es als Projektionsflächen für ausgegrenzte Phantasien oder als Experimentierfelder für alternative Ansätze. Wie die von Harald Theiss zusammengestellte Auswahl von Arbeiten zeigt, lassen sich an dieser Stelle die Defizite einer passiven Gesellschaft und mögliche Strategien zur Wiedergewinnung selbstbestimmten Lebens jedenfalls sehr gut aufzeigen.
Ein Ansatzpunkt ist zunächst die Suche nach den Spuren verdrängter Handlungsweisen, die an den Rändern der Geschichte weiterexistieren. Aage Langhelle richtet etwa seine Aufmerksamkeit auf die Vielfalt von Vogelhäuschen und Gegenständen zum Mitnehmen und weist damit auf einen weit verbreiteten Gestaltungswillen und seine Kommunikationsmöglichkeiten hin. Mona Vatamanu & Florin Tudor gerieren sich als Pseudo-Archäologen, wenn sie die Umrisse eines ehemaligen Klostergebäudes abzustecken versuchen, das dem totalitären Masterplan Ceaucescus in Bukarest zum Opfer fiel, aber nicht vergessen ist. Auch Christine de la Garennes Dokumente für die Bewohnbarkeit öffentlicher Räume durch Obdachlose, die Ihre Utensilien mehr oder weniger gut zu verbergen suchen, zeigt zwar unterlegene Ansätze selbstbestimmten Lebens, aber es geht hier auch mehr um deren objektive Realität. Wie sich am Beispiel der Stadt Detroit zeigt, kann sich das Blatt ja auch plötzlich wenden: Corine Vermeulen hat dort Eindrücke der Re-Ruralisierungsprozesse gesammelt, die infolge des Niedergangs der Autoindustrie und ihrer Infrastruktur stark an Bedeutung gewinnen.
Gaëlle Boucands Video „Gone to Croatan”, das eine spontane Party unter freiem Himmel vorführt, spielt durch seinen Titel auf den Begriff der Temporären Autonomen Zone (TAZ) von Hakim Bey an: Einer der Belege seiner Auffassung von der historischen Wirklichkeit alternativer Gesellschaftsformen bezieht sich auf die ersten Siedler in Amerika, die nicht wie immer erzählt wurde, wehrlose Opfer der Eingeborenen waren, sondern sich ihnen und ihrer paganen Lebensform freiwillig anschlossen und das vermutlich als Befreiung von den Zwängen ihrer tradierten Kultur erfahren haben.
Während sich in diesen Belegen für unterschlagene Fähigkeiten der gesellschaftlichen Basis die künstlerische Leistung auf die Korrektur der Wahrnehmung konzentriert, besteht sie bei einer anderen Gruppe von Arbeiten darin, die beobachtete Welt in klassischer Weise zu dramatisieren und phantastisch zu übersteigern. Cyprien Gaillard konfrontiert die Betrachter seines Videos etwa mit der monumentalen Wucht der abendlichen Sprengung eines Wohnblocks, und lenkt damit die Aufmerksamkeit weniger auf den konkreten Zusammenhang der betroffenen Wohnanlage „Pruitt-Igoe” in Saint-Louis, als vielmehr auf eine allgemeine Tragik der Moderne, deren Ideale sich scheinbar gegen sich selbst gewendet haben. Die Fotomontagen von Nicolas Moulin provozieren ähnliche Gefühle mit Blicken in finstere Betonschächte, die verwirrende und sinnlose Funktionalität mit ruinenhaften und verwilderten Zuständen verbinden und damit an Tarkovskis „Zone” oder Piranesis „Carceri” erinnern, und dabei eine subtile Phantastik entfesseln, die auch allzu reale Ängste evoziert.
Einen Ausweg aus dem Sog der Faszination für Suspense, der hierbei mit ins Spiel kommt, zeigen die poetischen Feldexperimente von Christina Kubisch. Schon allein die Konzentration auf den auditiven Sinn scheint eine wesentliche Akzentverschiebung zu bewirken. Geräuschkulissen im öffentlichen Raum erweisen sich in der Mehrzahl der Fälle als hässliche chaotische Mischungen, auf die man spontan durch Weghören reagiert, können aber durch bewusstes Hinhören auch interessant werden. Kubisch kombiniert mit derart normalerweise ausgeblendeten Geräuschen zusätzlich hörbar gemachte magnetische Wellen, macht also eine Dimension unserer Umwelt wahrnehmbar, deren Gefahrenpotential ähnlich wie bei der Kernenergie zumeist heruntergespielt wird. Als Klangkomposition werden diese Signale ästhetisch attraktiv, und unterlaufen so die Logik der Verdrängung. Mit der sinnlichen Kontaktaufnahme wird auch die Fähigkeit zu selbstbewusster Auseinandersetzung wiedergewonnen.
Damit korrespondiert methodisch die Arbeit von Larissa Fassler: Sie nimmt sich den „Kotti” vor, also das städtebauliche Areal am Kottbusser Tor, dessen planerische Wurzeln bis in die 70er Jahre zurückreichen, als noch das Vorhaben verfolgt wurde, große Teile des Quartiers abzureißen, um einer Stadtautobahn Platz zu machen.
Der Vorhaben kam zu Fall, der Gebäudekomplex stand aber schon. Und er fand zu einer äußerst lebendigen Nutzung. Larissa Fassler unternimmt nun den Versuch dieses Konglomerat vielfältiger Aktivitäten und Lebensformen einer Bestandsaufnahme zu unterziehen. Auf großen Papierbögen mit genauen Skizzen der architektonischen Gegebenheiten registriert sie in Form von Piktogrammen und schriftlichen Notizen hunderte von Beobachtungen, die eine virulentes soziales Geschehen dokumentieren.
Man scheint also nur die Schauplätze der Medien und des Konsums verlassen zu müssen, um auf aktive soziale Moleküle zu stoßen, deren Fähigkeiten zur Selbstorganisation ins Auge stechen. Demgegenüber stehen allerdings die Barrieren einer Kontrollgesellschaft, die sich davon nur bedroht sieht: Die Sperrgitter in Fussballstadien, die Eva Grubinger fotografiert, bezeugen das ebenso wie die Mauerverläufe in Jerusalem, die Noel Jabbours Fotos als Monumente einer festgefahrenen Zitadellenkultur darstellen.
Eine Intervention im Stadtraum liefert Isabelle Arthuis mit einem Billboard, das in altmeisterlicher Manier eine festliche Situation vorführt, und auf dem Vorplatz des Bethanien aufgestellt wurde. In ähnlicher Weise unternehmen die Aktionen von Nina Mücke den Versuch auf der Basis geometrischer Strukturen barocke Performances zu inszenieren, und damit die Quellen historischer Kunstformen zu reaktivieren.
Insgesamt scheinen die vorgestellten Positionen zwar vorsichtig, aber auch entschieden, gegenüber einer sich verschließenden Wirklichkeit, die nur noch aufgesetzte Oberflächen anbietet, die vorgefertigten Rollen einer Gesellschaft des Spektakels zurückzuweisen, und statt dessen nach Wegen zu suchen, die historisch übergangene Erfahrungen und Projekte ernst nehmen.

Weitere KünstlerInnen: Sebastian Denz, Philipp Fürhofer, Tamara Grcic, Mattias Härenstam, Moritz Hirsch, Carsten Höller, Nina Mücke, Grazia Toderi, Andreas Sell.

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Michael Hauffen

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