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urban structures


Wie wir alle fühlen können, hat die Kunst ihre unbedingte Sonderstellung verloren. Über die damit verbundene Schwäche alter Ideen täuschen weder Aufrufe zur Besinnung noch Retro-Szenarien oder Neuauflagen besonders erfolgreich hinweg. Zu sehr sind deren Funktionen unter der Dominanz kunstfremder Interessen heute offensichtlich. So macht es auch grundlegend keinen Unterschied, ob irgendwo mehr oder weniger von diesen oder jenen Ingredienzen vorkommt. Mit Begriffen wie Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Inhaltlichkeit, usw. grenzen sich nur noch diejenigen fanatisch voneinander ab, die - aus den verschiedensten Gründen - von einem an sich sinnlos gewordenen Ritual nicht loskommen.
Solange sich der Traum nach dem ganz Neuen nicht erfüllt, werden eher solche Positionen Interesse gewinnen können, die das Absurde der Situation zu Geltung kommen lassen, ohne davon fasziniert zu werden; die es vielmehr kalt registrieren. Für Künstler aus New York spricht daher, daß sich nach Abkühlung des postmodernen Fiebers und mangels mächtiger Traditionen solcher Nüchternheit wenig in den Weg stellt.
Der erste Eindruck von dieser Präsentation junger New Yorker Künstler bestätigt diese Erwartung. Das Angebot ist hier eindeutig karg. Steht das im Einklang mit der Neuen Einfachheit, die sich als Leitmotiv der Architektur hierzulande jüngst durchgesetzt hat? Oder findet darin nur die Depression jüngerer Stadtbewohner den Ausdruck, der eine (Anti-)Identität verspricht? Der Titel der Ausstellung deutet solche Fragen an. Allerdings bemüht sich hier niemand um den Anschein interdisziplinärer Kompetenz; gezeigt werden nur individuelle Antworten auf die drängende Herausforderung. All dies könnte aber auch als Hinweis auf die wesentliche Bedeutung der Flucht in den Individualismus für heutige urbane Strukturen zu verstehen sein. Gerade New York rühmt sich zwar, sicher nicht zu unrecht, seiner Multikulturalität. Aber vielleicht ist der utopische Gehalt dieses Potentials geschrumpft.
Andreas Tröger bietet mit seinen via Internet übermittelten Bildern aus downtown Manhattan Anschauungsmaterial zu diesem Thema „live”. Wenn es auch nur je 1 Bild pro 10 Minuten ist, das uns Passanten und Autos an einer bestimmten Kreuzung zeigt, so macht es doch gegenwärtig, daß in bestimmten Bereichen der New Yorker Innenstadt auch heute die kulturelle Vielfalt existiert und ein Leben auf der Straße stattfindet. Darüber hinaus könnte sich das Vernissagen-Publikum in der Menschenmenge auf den Bildern dieses „On-Line-TV” gespiegelt fühlen. New York ist doch gewissermaßen der Inbegriff von Kulturphänomenen, wie der typisch westlichen Kunstszene. Oder sind wir hier nur faszinierte Voyeure mit heimlichen Kleinstadtgefühlen? Falls uns ein derartiger Eindruck beunruhigen sollte, sind wir jedenfalls informiert genug, um uns mit auch dort ungelösten Problemen zu trösten.
Aus den Zwängen der „togetherness” könnte beispielsweise Jason Rhoades die Konsequenz gezogen haben, seine Kunstobjekte lieber in Wüstenlandschaften zu installieren. Fotos davon sind jedenfalls markanter Bestandteil seiner Installation. Ein wesentlicher Aspekt dieses Wunsches, die Stadt ganz hinter sich zu lassen, wird aber auch mit mehr oder weniger latentem Mißtrauen bzw. Katastrophenangst zusammenhängen. In der Wüste kann besser als unter Bedingungen des Komforts individuelle Autarkie, unter Verwendung moderner technischer Ausrüstung auf die Probe gestellt werden. Es handelt sich um eine Art sich selbst aufblasendes Zelt mit einem Schlauchsystem, das in einer pelzgefütterten Öffnung mündet. Seine Eignung als Geschlechtspartnerersatz wird durch einige Skizzen dokumentiert. Damit dürfte eine weitere Wurzel dieses Werks irgendwo zwischen jenen Randphänomenen der zeitgenössischen Bohème anzusiedeln sein, die als Autismus und als Single-Kultur bekannt sind.
Wenn auch weniger deutlich finden sich ähnliche Motive in "No Title" von Matthew McCaslin: Ein leeres Stahlregal mit zwischen den Fächern hängenden Neonröhren, um und durch das sich metallverkleidete Stromkabel schlängeln. Technik wird vom Mittel zum Fetisch. Liest man es als emblematisches „ready-made”, ergibt sich außerdem eine eigentlich antiquierte Aussage: Nostalgie in der Sprache von Produkten aus dem Do-It-Yourself-Supermarkt.
Ein wenig mehr soziale Inhaltlichkeit bietet die Objekt-Serie von Cosimo Di Leo Ricatto. Es handelt sich um Schubladenelemente alter Karteischränke, die mit Beton ausgegossen wurden. An der Oberfläche der Betonschicht findet sich je ein eingeprägtes Wort, sowie seitlich ein Dollarzeichen. Der prompt assoziierte Bereich von eintöniger Büroatmosphäre und unerfüllten Träumen dürfte in den USA - dank der Errungenschaften elektronischer Datenverwaltung - in dieser Form der Vergangenheit angehören. Nicht weniger verstaubt wirkt aber die Abhandlung konzeptueller Standards vergangener Zeiten, die dem ganzen, verbunden mit der korrekt-regelmäßigen Anordnung, etwas unrettbar Trostloses gibt.
Vermutlich ist das unbeabsichtigt. Hätte aber der Wunsch nach einem öffentlichen Ort für die Verarbeitung subjektiv überfordernder Trauer im real-existierenden Kontext überhaupt eine Chance? Suzan Etkin scheint diese Frage auf ihre Art negativ zu beantworten. Ihr „Garage Door” ist vollkommen von allen Spuren der Besonderheit gereinigt, nur ein Stück schwarzer Schleier deutet überraschend auf ein trauriges Ereignis hin. Falls überhaupt ein reales Drama stattgefunden hat, preisgegeben wird es nicht. Schließlich würde es ja doch nur von einem allgemein gravierenderen Faktum ablenken: dem befremdenden Charakter eines sozialen Raumes, in dem der Schmerz nicht vorkommt.
Logischerweise erwächst hieraus das Bedürfnis nach Schmerzlosigkeit, wie sie die Naturwissenschaften zu versprechen scheinen. Seiko Mikami bietet die Gelegenheit zu einem interaktiven Einstieg in die Grundlagen der Molekularbiologie. Die mehr oder weniger dunkle Ahnung, daß die Zukunft des planetaren Lebens in den gentechnologischen Labors bereits gestaltet wird, trifft hier auf abweisend glatte virtuelle Oberflächen, - um sich ganz zu verflüchtigen. Bleibt also die Identifikation mit der aggressiven Macht der Technologie die einzige Möglichkeit um sich die eigene Kreativität zu erhalten?
„Corridor”, eine Computerpräsentation von Craig Kalpakjian berührt an diesem Punkt die Grenze zur provokativ inszenierten Unheimlichkeit. Eine Video-Laserdisk lädt uns dazu ein, ein architektonisches Konzept simulativ zu durchschreiten. Es handelt sich dabei um einen endlosen ringförmigen Korridor, der nur ein ständiges Kreisen in hermetischer Abgeschlossenheit erlaubt. Aber die unprätentiöse Gestaltung des Kabinetts, in dem der Monitor hängt, mit leeren Glasscheiben, ermuntert nicht gerade zur kompensatorischen Beschwörung bedrohter Schönheit.
Insgesamt wird also kaum versucht so zu tun, als ob man Lösungen oder Neuheiten anzubieten hätte. Die Anknüpfung an schon Bekanntes geschieht andererseits weitgehend ohne die sonst übliche Mystifikation der Selbstreferentialität. Auch alle übrigen Arbeiten laden dieser gegenüber eher zur Skepsis ein: Simon Ungers, indem er Grundelemente der klassisch modernen Architektur seines Vaters als unwirtliche Abstrakta präsentiert; Michael Joo mit einer Video-Installation, die ihn wie ein gefangenes Tier unaufhörlich trampolinspringend zeigt; oder Matthias Held, der zwei in modischem Orange gemalte Bilder so nah einander gegenüberstellt, daß diese sich nur selbst anschauen können, während der Betrachter sich als Teil einer durch die Kunst geschleusten Herde fühlen muß.
Selbstverständlich wird man in solcher Umgebung irgendwann aggressiv. Doch auch für die Kanalisierung dieser natürlichen Regung ist schon gesorgt: in einem Punk-Video von Andres Serrano wird Brutalität so stumpfsinnig gründlich dargeboten, daß man sich schon nach kurzer Zeit wieder gerne irgendwelchen anderen Dingen zuwendet.

Zur Ausstellung ist ein Katalog mit Texten von Raphael Rubinstein und Justin Hoffmann erschienen, DM 20,-.

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Michael Hauffen

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