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projection frames / STAIRS 2 - Peter Greenaway


Daß der Film eine technologische Neuerung darstellt, durch die die (bildende) Kunst in ihrem traditionellen Geltungsanspruch in Frage gestellt wird, ist als Problem heute etwas in den diskursiven Hintergrund geraten, weil die sogenannten multimedia-Technologien dem Konflikt ein verschärftes Aussehen gegeben haben. Auf jeden Fall überrascht es, wenn ein Filmregisseur, dem auch im Bereich der neuen elektronischen Medien viele Türen offen stehen, sich auf das Feld der bildenden Kunst begibt, nicht um sich privat zu entspannen, sondern um dabei seine künstlerischen Möglichkeiten zu vergrößern.
Peter Greenaway ist aber auch schon in seinen Filmen vom weltweit herrschenden Dogma des amerikanischen Kinos abgewichen, und hat sich – ganz im Trend der 80er Jahre – an europäische Traditionen der bildenden Kunst und der Architektur angeschlossen.
Der – allerdings formal konventionelle – Spielfilm "Der Bauch des Architekten" drehte sich etwa um Étienne-Louis Boullée als der repräsentativen Größe des unruhigen Geistes der Moderne, der sozusagen immer noch dazu verurteilt ist, mit seinen gigantischen Visionen in den Köpfen und Bäuchen derer sein Unwesen zu treiben, die auf eine Befreiung von der Beschränktheit ihrer symbolischen Mittel hoffen. Mit seinem Projekt STAIRS hat Greenaway es nun auch selbst unternommen die Grenzen seine Genres zu überschreiten, und den öffentlichen Raum als Operationsfeld betreten.
"Projection Frames" ist das nicht gerade bescheidene Unternehmen 100 Jahre Film als eine abgeschlossene Epoche zu feiern, und dazu eine ganze Stadt visuell zu verändern. Für jedes der 100 Jahre wurde ein großes leuchtendes Rechteck auf die Außenwand eines Gebäudes projiziert. Bis auf die Einblendung der jeweiligen Jahreszahl blieben diese Rahmen frei von jeglichem Sujet; lediglich durch Farbfilter und Flimmereffekte, bzw. wandernde Schatten wurde so etwas wie Bewegung bzw. Filmtechnik angedeutet.
Die technisch bedingte Einschränkung auf die Abendstunden, die natürlich dem Kino adäquat ist, wurde noch ergänzt durch die Begrenzung des Umfelds der Projektionen auf den Innenstadtbereich, und dort auf einzelne Straßenzüge, die zu Fuß in relativ kurzer Zeit abzuschreiten sein sollten. Damit ging die Veranstaltung eine enge Verbindung mit jenem musealen Charakter unserer heutigen Altstadtbereiche ein, die tendenziell nur noch exklusive Konsumsphären darstellen und die Dynamik und Komplexität des städtischen Lebens zugunsten einer passiv-konsumptiven Haltung des Publikums (die Greenaway selbst beklagt) stark reduzieren. Die prekäre Allianz zwischen Künstler und Sponsoren scheint sich hier wieder einmal zugunsten letzterer ausgewirkt zu haben, und man wird in diesem Verdacht bestätigt, wenn man erfährt, daß der ursprüngliche Plan auch für die Außenbezirke der Stadt Projektionen vorsah.
Das Maß der Bewegung in einer Großstadt ist bekanntlich schon seit längerer Zeit nicht mehr der flanierende Passant, sondern die Kombination einer Vielzahl von Fortbewegungsarten, die es letztlich bewirkt, daß wir tatsächlich von einem global village ausgehen können. In dieser Perspektive, und aufgrund der Komplizenschaft von Film und Beschleunigung, wie sie am prägnantesten vielleicht Paul Virilio auf den Begriff der kinematischen Energie gebracht hat, müßte auch zum Beispiel dem Betrachter im Auto, der in beschleunigter Benommenheit die Stadt durchquert, ein konzeptueller Wert als Adressat zugemessen werden.
Zumindest in einigen Straßen, die eine relativ dichte Aufeinanderfolge von "frames" aufwiesen, konnte man diese irritierende Erfahrung machen: das Auf- und Abblenden der einzelnen Rahmen im Rhythmus einer durchschnittlichen Filmsequenz und die damit einhergehenden Wechsel der Jahre, mit denen die Rahmen jeweils betitelt waren, bewirkten, daß man sich wie in einem Film vorkam, der einen als eine Art Zeitmaschine in der Geschichte vor- oder rückwärts beförderte, wobei die historischen Gebäude als Träger komplexer Erinnerungen dienen mochten. Deren Realität im Sinne von Verbindlichkeit, wird allerdings außerhalb von Kommunikation oder kollektiver Manifestation nicht zum Gegenstand von Bearbeitung. Damit dürfte dieses Auto-Erlebnis etwa ähnliche Fragen aufwerfen, wie der Film selbst, oder heute noch mehr die Cyber-Technologien, in denen eine einsame Mobilität in einem simulierten objektiven Raum bereits enge Vorgaben definiert.
Greenaway spricht in seinem in der Dokumentation zu den Projektionen abgedruckten Essay davon, daß nur die Bereitschaft zum Glauben an die Schatten, die uns das Kino bietet, deren Bedeutung erzeugt. Dieser "klaustrophobischen Kunst mit einem gefangenen Publikum", wie er sie nennt, hält er Sonne, Fleisch, Luft, Konversation und "das Recht zu antworten" entgegen. Abgesehen davon, daß etwa der Club Méditerranée solche Ansprüche für entsprechend zahlungskräftige Kunden zu befriedigen verspricht, handelt es sich dabei um Dinge, die nicht zuletzt durch das Kino in dieser isolierten Form zu Objekten des Begehrens geworden sein dürften. Aber vor allem fällt dabei die Frage nach der Verfügungsgewalt über sowohl technische als auch symbolische Machtmittel (die z.B. das Einräumen von Antwortmöglichkeiten als demonstrative Geste von Herablassung einseitig profitabel machen können) unter den Tisch.
Wenn man auch Greenaway nicht auf ein solches Statement reduzieren kann, sein megalomaner Ansatz zu einem Monument für das Kino als Ganzes, kraft seiner Autorität als anerkannt großer Regisseur, kommt einer Beschwörung der abstrakten Herrlichkeit seines Mediums recht nahe, soweit sich dabei nicht der stark dekorative Charakter farbiger Lichtfelder durchsetzt. Die erklärte Absicht zu Dechiffrierung oder Irritation der perspektivischen Gewohnheiten, die mit ihm zusammenhängen, bleibt dagegen im Stadium vager Andeutung. Vor allem wurde die durch die Jahreszahlen unweigerlich assoziierte Geschichte dieses Jahrhunderts mit ihren katastrophalen Brüchen und offen heterogenen Motiven widerstandslos in die homogene Form beliebig projizierter Zahlenreihen gebracht. Mangels Erscheinen der Götter Hollywoods oder Geiselgasteigs ist "projection frames " sicher keine Werbeveranstaltung für die Filmindustrie geworden. Aber sie stellt auch keinen ernsthaften Angriff auf die Strukturen dar, denen die real dominierende Filmkunst ihre Rolle als religionsähnliches Massenprodukt verdankt. Und auch die Frage, wie es den Künsten möglich sein könnte, dem Magnetismus, der sie auf den Film in dieser amerikanischen Variante, bzw. dessen technische Fortentwicklungen zutreibt, scheint nach wie vor drohend ans imaginäre Firmament projiziert zu bleiben.

Zum Projekt ist ein 2-bändiger Katalog erschienen, mit Fotos von den Schauplätzen aller 100 Projektionen, sowie detaillierten Beschreibungen und einem umfangreichen Essay (englisch/deutsch) von P. Greenaway, illustriert mit Stills aus seinen Filmen. Erschienen bei Merrell Holberton Publishers, London. Preis während der Ausstellung 48,- DM. ISBN 1-85894-022-2.

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Michael Hauffen

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