Text

click doubleclick


Fotografie definiert sich heute nicht mehr allein durch Abgrenzung von Malerei oder Zeichnung, sondern auch im Unterschied zur Erzeugung künstlicher Computer-Bilder. Unter dem Titel „click doubleclick” soll Fotografie als dieser unscharfe Zwischenbereich thematisiert werden, wobei in den begleitenden Texten zusätzlich vertraute Fragen nach der Bedeutung des Dokumentarischen und nach dem Wert der Fotografie als Kunst aufgeworfen werden. Natürlich zeigt sich in der Folge, dass es unzählige Facetten von Möglichkeiten gibt, darauf zu antworten. Um weiter zu vereinfachen, haben sich die Kuratoren der Ausstellung deshalb unverständlicherweise entschlossen, das Schwergewicht auf jene Fotografen zu legen, die mit klassischer Fototechnik arbeiten.
Aus diesem Rahmen fallen höchstens die Arbeiten von Thomas Ruff und Jules Spinatsch. Ersterer ist mit Beispielen aus seiner bekannten Serie von Internet-Funden vertreten. Offensichtlich aus dem WorldWideWeb kopierte Bilder schlechtester Qualität und allzu bekannten Inhalts, wie das New Yorker World Trade Center 9/11 werden hier als Riesenformate präsentiert. Die Erkennbarkeit der Motive geht gegen Null. Es bleibt also nur der Hinweis auf die Realität medialer Tautologie, oder die Bestätigung des Verdachts, dass die Überflutung mit den immergleichen visuellen Reizen zu einer Art Blindheit führt, die Heilkraft aus den filigranen Strukturen digitaler Störungen zu gewinnen hofft.
Jules Spinatsch dagegen experimentiert mit digitaler Fotografie auf eine Weise, die an mittelalterliche Darstellungsverfahren erinnert, indem er in seine großflächigen Tableaus von Straßenszenen zeitlich voneinander getrennte Momente kopiert. Seine Ansichten sind in eine Vielzahl von Quadraten unterteilt, die jeweils zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen zu sein scheinen. Zumeist passen die Teile dennoch perfekt zusammen, weil es sich um statische Objekte handelt. Manchmal spielen sich aber kleine Szenen ab, die ähnlich wie bei Überwachungskameras endlich die Neugier wecken. Spinatsch versteckt solche voneinander unabhängigen banalen Ereignisse an verschiedenen Stellen in den gerasterten Panoramen, und gibt damit Gelegenheit, die zweifelhafte Lust an Ihrer Entdeckung nachzuvollziehen.
Auch Wolfgang Tillmans’ großformatige Bildexperimente mit dunkelroten, fast monochromen Flächen lassen sich als Grenzüberschreitungen des Feldes gewöhnlicher Fotokunst beschreiben, insofern sie das Objekt, dessen Spuren hier womöglich ablesbar sind, im Dunkeln lassen. Sind es verzerrte und verwackelte Körperhaare? Hat die rote Farbe etwas mit Blut zu tun? Welche Realität benennt ein Bildtitel wie „Einzelgänger II”? Diese Fragen finden keine endgültige Antwort, wären aber sicherlich weniger beunruhigend, wenn es sich um bloß malerische Figurationen handeln würde.
Bei Jeff Wall weiß zumindest der Kenner seiner Arbeiten, dass die Aufnahmen keine Schnappschüsse darstellen, sondern aufwändig konstruierte und digital verarbeitete Szenarien darstellen, die sich als solche jedoch nicht zu erkennen geben. Die Aufnahme einer archäologischen Erforschung eines Waldstücks stellt also eine Art Lehrstück der inszenierten Fotografie dar, deren inzwischen schon historischer Ansatz darin bestand, unsere Zweifel an der Authentizität von Fotodokumenten zu konkretisieren.
Von diesen vier Positionen abgesehen, scheinen die Ausstellungsmacher alle Ansätze, den Rahmen konventioneller Ästhetik zu sprengen, aus den Augen verloren zu haben. Dabei würde gerade darin das entscheidende Argument für eine Aufnahme von Fotokunstwerken in den Rang souveräner Kunst liegen.
Zwei weitere Becher-Schüler haben zwar nach Kriterien des Kunstmarkts längst bewiesen, dass großformatige Fotografie ganz oben angekommen ist. Thomas Struths Aufnahmen von Museumsbesuchern könnte man sogar noch einen kritischen Reflex auf die jüngere Entwicklung der Museumskultur unterstellen, aber es fehlen letztlich bestimmte Hinweise darauf, dass mit den überdimensionalen Formaten viel mehr als eine Selbstreferenz des Kunstsystems intendiert ist. Bei Andreas Gurskis ebenfalls hochaufgelösten Superformaten mit monumentalisierenden Darstellungen spektakulärer Architektur überzeugt zwar der Anspruch mit den Irritationsmöglichkeiten von Abstraktion und Minimalismus auf dem Terrain der Fotografie gleichzuziehen, aber auch das bestätigt ja nur eine inzwischen standardisierte Ästhetik.
Heidi Specker knüpft ausdrücklich an die historische Experimentalfotografie von Karl Blossfeldt an, wobei sie seine Methode der detaillierten Betrachtung von Naturformen auf Pflanzen in Vorstadtgärten überträgt und den methodischen Blick somit auch auf Architekturfragmente lenkt, die etwas über das Lebensgefühl ihrer Bewohner verraten. Hier wird also zumindest eine Verschiebung vorgegebener Grenzen und eine Erschließung neuer Perspektiven bewerkstelligt.
Dem anschließen lässt sich allerdings die Aufzählung einer weit größeren Gruppe von Arbeiten, die sich vollkommen antiquierteren Vorbildern der bildenden Künste verschrieben haben. Die Besonderheit von Tina Barneys auf äußerste Konventionalität bedachten Familienportraits liegt etwa allein in der Zugehörigkeit der Dargestellten zu den oberen Zehntausend. David Claerbout huldigt einem ähnlich biederem Ideal im Genre der Landschaftskunst. Kaum mehr Mut zum Experiment beweist Scott McFarland, der Menschen in Gärten auf extremen Breitwandformaten inszeniert.
Es fehlt auch nicht an Arbeiten, die das klassische Portrait pflegen. Der Gefahr, nur die althergebrachten Sehweisen und ihre heutige mediale Bedeutung für die herrschenden Klischees der Normalität zu bedienen, versuchen eine Reihe von Fotografen zu begegnen, indem sie ihren Apparat den Kehrseiten der perfekten Welt zuwenden. Alec Soth zeigt schmuddelige Bilder aus der nordamerikanischen Subkultur, und Larry Sultans Serie „The Valley” scheint sich ganz auf das Umfeld von Sexfilmproduktionen zu beschränken, während Paul Graham die verzweifelte Existenz einer Obdachlosen in New Orleans als Serie arrangiert. Juergen Teller beweist, dass ähnlich subversive Milieus auch im Raum Nürnberg zu finden sind, und Laurenz Berges genügen sogar Aufnahmen von vergammelten Teppichböden für ein entsprechendes Stimmungsbild. Tellers großzügig präsentierte Serien werden übrigens durch die Dominanz von weißen Hintergründen zusammengehalten, deren Pendant das durchgängige Dunkelgrau der Arbeiten von Dirk Braeckman bildet. So unterscheiden sich diese Werke von bloßer Amateurfotografie durch ihre mehr oder weniger gelungene Mischung von Alltagsexotik und Stilisierung, wobei in den Serien die Dramatisierung durch den semantischen Wert aussagekräftiger Details hinzukommt.
Bei Judith Joy Ross, die die von ihr portraitierten trostlosen Jugendlichen als Silber-Gelatine-Abzüge mit Goldtönung präsentiert, geht das sogar so weit, deren traurige Existenz zu einer Art sakralem Opfer zu verklären. Rineke Dijkstras Stilmittel ist dagegen die gnadenlose Beobachtung ihrer jugendlichen Figuren. Das Vorbild für diese Aufnahmen scheint weniger die klassische Portraitkunst zu sein, als ein Blick, der im Labor geübt wurde. Patrick Feigenbaum bildet dagegen eine anachronistische Oase, wenn er Zeitgenossen in der Art der Portraitmalerei des neunzehnten Jahrhunderts darstellt, und dies durch ein paar Stillleben mit Früchten abrundet.
Die beiden Beispiele von hochwertiger Dokumentarfotografie (Luc Delahaye und Taryn Simon) können die resultierende Schieflage der Ausstellung auch nicht mehr korrigieren. So kommt als Trostmittel nur die kleine humoristische Abteilung in Frage, die aus Martin Parrs Serie von Parklücken und Hans van der Meers witzigen Aufnahmen von Fußballereignissen drittklassiger Provinzvereine besteht. Eine Sonderstellung nehmen noch die Exponate von Stephen Gill ein, der einerseits mit Fotodokumenten der englischen Flohmarktszene vertreten ist, und andererseits den Hass auf deprimierende Stadtlandschaften dadurch zu bewältigen sucht, dass er sie ganz unprätentiös in Schnipsel zerteilt, um daraus Blumenbilder zu basteln: die „Hackney Flower Series”.

Newsletter

Michael Hauffen

derzeit noch nicht aktiv, bitte versuchen Sie es später wieder