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FAITES VOS JEUX !


Mit dem Begriff des Spiels wird gerne die Vorstellung einer Art sozialer Ausnahme verbunden, die das Lustprinzip kulturell verankert. Das trifft aber sicherlich nicht auf jede Art von Spielen zu. Nicht nur militärische Planspiele oder verkaufsorientierte Rollenspiele lassen daran Zweifel aufkommen, sondern vor allem das globale multi-mediale Spektakel, das immer mehr Kanäle unserer Wahrnehmung in Beschlag nimmt, wobei es uns zu mehr oder weniger unfreiwilligen Beteiligten macht, und uns seine Mythen aufzwingt. Vor allem in Verbindung mit neoliberalen und fundamentalistischen Dogmen läuft das auf eine Einschränkung der Möglichkeiten lustvollen Spielgenusses hinaus.

Die postmoderne Showgesellschaft eröffnet aber auch neue Möglichkeiten der Manifestation marginalisierter Bedürfnisse und Perspektiven, die von der pauschalen Kritik der Kulturindustrie gerne übersehen werden. Ein breites und abgestuftes Spektrum reicht heute von der Heimvideoproduktion bis zum alternativen Pop-Sender und lädt dazu ein, die dominierenden Formate, und vor allem ihre Codes zu dekonstruieren. Die damit verbundene Herausforderung nehmen nicht zuletzt all jene KünstlerInnen an, die sich darauf einlassen, den großen Medienfabriken und ihren Standards mit alternativen Ansätzen zu antworten.

Den dritten Teil ihrer Ausstellungsreihe zum Thema nennen die KuratorInnen Katharina Schlieben und Sønke Gau Faites vos Jeux. Neben der allgemeinen Aufforderung zum Spiel und der mit ihm verbundenen Lust, sollte damit auch die Frage provoziert werden, unter welchen Umständen Spielregeln neu definiert und von der Norm abweichende Spielpraktiken durchgesetzt werden können. Der vielleicht allzu allgemeinen Frage nach der Spielkultur wird zudem mit der Konzentration auf das Karnevaleske begegnet. Dieses zeichnet sich nicht nur durch seine besondere Auffälligkeit innerhalb des Spektakels aus, sondern auch durch seine Ambivalenz.

Das Prinzip des Karnevalesken ist die Umkehrung. Beispiele dafür aus dem ersten und zweiten Teil der Ausstellungsreihe wären: Die Videoarbeit von Artur Zmijewski, der eine Gruppe von Männern soldatisches Paradieren ausführen lässt, wobei sich diese nach und nach ihrer Kleider entledigen und so von Soldaten zu Nackedeis werden. Oder der Film The Matrix Effect von Christian Jankowski. Hierbei handelt es sich um die fingierte Fernsehdokumentation über ein Museum, in dem von den Räumlichkeiten über die Werke bis zu den Künstlerstatements alles authentisch ist, bis auf die Darsteller: diese sind ausschließlich Kinder. Dieser Unterschied genügt, um aus dem selbstverständlichen Szenarium ein Spiel mit fragwürdigen Regeln werden zu lassen.

Im dritten Teil der Ausstellungsreihe knüpft Joseph Dabernig mit seiner Arbeit Wisla an diese Logik an. Zwei Darsteller folgen hier als Trainer und Co-Trainer einer Fußballmannschaft einem nur fiktiven Spiel. Im leeren Stadion sind ihre Gesten zwar als signifikant erkennbar, wirken aber – ihres Kontexts weitgehend beraubt – nur noch absurd.

Wenn sich das KünstlerInnenkollektiv ROR (Helsinki) in der Pose einer Band inszeniert und das Foto in Lebensgröße als Werbedisplay mehrfach im Ausstellungsraum aufstellt, dann werden hier – ähnlich fragmentarisch – Standards der Vermarktung von Popkultur zitiert und eher dezent ironisiert. Die Geste der Selbstvermarktung lässt sich jedenfalls mithilfe des Titels der Arbeit, Revolutions on Request, als Entlarvungsversuch lesen. Das verdeutlicht wiederum den paradoxen Charakter von Gegenkultur, wie des Karnevalesken insgesamt: die Umkehrung lässt die entlarvten Strukturen intakt, ja bestätigt sie oft sogar. Und so wie die Popindustrie ständig nach abweichenden Konzepten Ausschau hält, um sie sogleich zu vereinnahmen, so nehmen auch provozierende Künstlergesten nicht selten genau die Trends des Marktes vorweg, den sie zugleich angreifen.

Das schließt Formen der Rebellion, die sich einer Adaption für den Mainstream widersetzen, aber nicht aus. Wenn Ursula Mayer in ihrer Video-Installation Acoustic Mirror Elemente des Punk und New Wave aufgreift, scheinen diese Gesten an Schärfe nichts eingebüßt zu haben. Der Auftritt von Musikerinnen im vollkommen verspiegelten Bühnenraum stellt zum normalen Alltag eine radikale Distanz her, zielt aber auch darauf ab, das Andere, das hier beschworen wird, als reine Konstruktion zu präsentieren. Übertrieben ritualisierte Gesten und Kostüme lassen keinen Eindruck von Natürlichkeit oder andere mythische Überfrachtungen zu, sondern zeigen die rigorose Lust am Spiel mit medialen Möglichkeiten und ihren Codes.

Wenn die Gruppe CREAM eine feministische Quiz-Show veranstaltet, wird zudem deutlich, dass der Anpassungsdruck des Spektakels weniger über die formalen Regeln läuft, als vielmehr über konventionelle Inhalte. Folglich lässt sich das normalisierte Spiel leicht umkehren, und kann zudem jenen unausgesprochen wirksamen Anschein von Selbstverständlichkeit für sich nutzen – ein typischer Fall von subversiver Umcodierung.

Schimpansen stehen dem Menschen biologisch recht nah und es wird auch behauptet, dass sie spielen. Die Gruppe bankleer macht daraus ein Experiment: Was passiert, wenn Schimpansen im Zoo dereguliert werden? Im Unterschied zu Menschen scheinen sich diese davon nicht beeindrucken zu lassen. Das freie Spiel der Kräfte mag hier zwar von einer rudelinternen Hackordnung reguliert sein, bleibt aber auch im Käfig für uns faszinierend zügellos. Sollten wir uns vielleicht hieran ein Vorbild nehmen und unsere quälenden Sorgen und Bedenken einfach abwerfen? Die Installation in der Ausstellung lädt jedenfalls ein, es den Affen nachzutun.

Aber von allen Regeln lösen können wir uns sicherlich nicht. Uns scheint nur die Wahl zwischen verschiedenen Spielen als Ausweg aus dem profanen Leben zu bleiben. Mit der Negusgesellschaft Addis-a-Seeba führt die Ausstellung ein schönes Beispiel aus dem eigentlichen Brauchtum vor. Haile Selassie, der Herrscher Abbesiniens, trat in den dreißiger Jahren ohne Erfolg vor dem Völkerbund in Genf auf, um die unrechtmäßige Besetzung seines Landes durch Mussolini zu verurteilen. In Seewen in der Innerschweiz brachte man dem unterdrückten Herrscher mehr Sympathie entgegen: Die Figur des «Negus Negesti» und sein Hofstaat wurden 1936 zu Protagonisten in den örtlichen Karnevalsritualen, die bis heute als Neguskult lebendig blieben.

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Michael Hauffen

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