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Jennifer Bolande


Wie Klaus Theweleit erzählt, beinhaltete die langsame Drehung einer Langspielplatte für seine Generation das Versprechen produktiven Müßiggangs – ohne das dauernde Gefühl von der Technik tausendfach überholt zu werden. Eine ähnliche Vorstellung muß Jennifer Bolande im Kopf gehabt haben, als sie eine rotierende LP mit dem Bild kreisförmig gruppierter Fallschirmspringer an-stelle des Etiketts versah. Immerzu schwebend dreht sich diese Gruppe von In-tensitätssuchenden und vermittelt etwas vom high-sein, das auch in der Kunst der Fall ist, wenn das kühne Spiel mit den Turbulenzen von der Furcht vor drohenden Schwierigkeiten befreit.
Zum Beispiel: Die männliche Technik erzeugt Gegenstände mit harten Kanten und Ecken, die weibliche Kunst dient dem Wunsch diese Ecken abzurunden. Dieser Mythos wird zugleich enthüllt und neu interpretiert durch das Foto einer Frau, die mit soviel Schulterpolstern ausgestattet ist, wie es Stellen gibt, die womöglich noch immer zu eckig sein könnten. Zusätzlich enthält der Rahmen weitere Schichten von bunten Eckpolstern.
Oder: Das Erhabene wird durch ein System von Abgrenzung, Differenzierung und Distinguiertheit produziert und reproduziert. Die Künstlerin probiert den Umkehrschluß anhand von Absperrungen, wie wir sie im Straßenverkehr antreffen. Versteckt sich nicht auch in dieser Exklusivität ein faszinierendes Wesen? Diese respektlose Frage wird mit einer Reihe von Fotos aufgeworfen, auf denen solche uns geläufigen Markierungen vorübergehend unzugänglicher Orte – wie nur für Kunstwerke üblich – ohne weiteren Kommentar präsentiert werden. Zudem zeichnen sich diese Symbole der Abwesenheit dadurch aus, daß sie ein zentrales schwarzes Loch, eine Leerstelle aufweisen. Als Erwachsene wissen wir natürlich, daß das alles ganz normal ist, aber entspricht dieses Wissen auch unserem Begehren? In einer weiteren Arbeit sperrt Bolande selbst einen Teil der Ausstellung ab und inszeniert darin auf dem Salonfußboden im Modell eine Absperrung, deren Spiral-Figur der Lust am Zeichnen - mehr als in der funktionalen Wirklichkeit gestattet - nachgibt. Werkstattwagen und schwarzes Loch nehmen ihren Platz in der Mitte nur in Form eines Erinnerungsfotos ein. Dafür gibt ein Flugzeugmodell als Accessoire dem Ganzen internationales Flair.
Weiteres Beispiel: Das Wesentliche erscheint hell, weil das Unwesentliche dunkel bleibt. Schwarz ist daher nur der Platz für Etwas, etwas Mögliches. Ist es also selbst gar nicht wirklich? Bolande geht hier folgendermaßen vor: Sie nimmt ein Bild mit einem nachts aufgenommenen, hinten offenem Containerfahrzeug. Man sieht nicht viel mehr als die rechteckige schwarze Öffnung und den orange-farbenen Rahmen des Gehäuses, nebst einigen Details. Dieses Foto wird in einem Rahmen präsentiert, der die sichtbare Form und die Farbe der Containeröffnung wiederholt. Das schwarze Rechteck befindet sich also im Zentrum zweier Rahmen; wird es dadurch intensiver? Hat sich die Leerstelle verdoppelt? Oder ist sie immer nur die eine und wechselt ihren Platz, je nachdem wie (oder von welchem imaginären Standpunkt aus) man sie betrachtet? Wenn man weiter ausholen wollte, könnte die Frage lauten: Wie viele Leerstellen habe ich, wenn ich 5 Lastwägen so aufstelle, daß ich ihre hinteren dunklen Öffnungen sehen kann? Die Probe darauf wurde 1:1 gemacht und fotografisch in einer Serie dokumentiert. In einem weiteren Schritt wurden bei einer Aufnahme die Öffnungen der Lastautos in der paint-box auf einen Lichtwert = Null gesetzt. Less is more? Eine mögliche Antwort führt wieder ein anderes Foto vor: Man nimmt passende Modelle von den Lastwägen und steckt in jedes einen der fünf Fin-ger einer Hand. Diese Lösung ist zunächst entwicklungsgeschichtlich von Bedeutung, hat aber auch schon Mutmaßungen über eine starke erotische Kom-ponente in Bolandes Werk ausgelöst.
Letztes Beispiel: Eine abgebildete Hand ist immer noch eine Hand. Auch ohne großen computergrafischen Aufwand läßt sich der Boden derartiger Gewißheiten erschüttern: Auf einer Serie von Fotos hält jeweils eine Hand das Foto derselben Hand in verschiedenen Stellungen in die Kamera. Vor allem die zweite Hand droht dabei eine Art gespenstisches Eigenleben zu entwickeln. Der Blick wird durch diese subtile Inszenierung auf das Medium selbst zurückgewendet und könnte dadurch in die Lage kommen, dessen dem Sehen immanente Wirkungen nicht nur unheimlich zu finden, sondern auch als dekonstruierbar zu erkennen.
Jennifer Bolandes modus operandi zeichnet sich vor allem durch tendenziell abenteuerliche Serienbildung aus, durch eine Reihe von Gegenständen, die immer wieder neu gestreift, aber nie abgearbeitet werden. Beispiele sind dabei nicht von untergeordneter Bedeutung gegenüber theoretischen Oberbegriffen; die einzelnen Werke sind produktive Knoten, die weitere Verzweigungsmöglichkeiten enthalten. Diese Offenheit läßt sowohl den Anschluß alltäglicher Erfahrungen wie auch Referenzen auf Kunst zu. Der Anspruch ewig gültiger Gesetze, universaler Letztbegründungen oder absoluter Standpunkte wird dabei nicht nur verweigert, sondern lächerlich gemacht, als eine lebensfeindliche Fixierung zu Diensten der Macht. Die Freiheit wird nicht beschworen, sondern frech ergriffen. Man findet sie zum Beispiel, wenn man auf die Straße geht.

(In erweiterter Form zeigt wurde die Ausstellung in der Kunsthalle Palazzo gezeigt. Dort erschien auch ein Katalog mit Texten von Philip Ursprung und Justin Hoffmann).

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Michael Hauffen

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