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Christoph Büchel - SHELTER


Seit Marcel Duchamp ist eigentlich klar, dass Alltagsobjekte aufhören Alltagsobjekte zu sein, sobald sie in den Kunstkontext transferiert werden. Aber gilt das auch für den Transfer kompletter Lebensumwelten, wie komplett eingerichtete Zimmer, Abenteuerspielplätze, Technoschrottlabors, mutierte Einfamilienhäuser, Discos, Supermärkte oder Sportarenen? Der Boom spektakulärer Ausstellungsprojekte hat uns in letzter Zeit ausreichend mit Erfahrungsmöglichkeiten versorgt, um diese Frage aufzuwerfen – und sie gleich wieder zu vergessen. Denn sobald man sich der suggestiven Wucht solcher Szenarien aussetzte, wurden all die alltagsspezifischen Reflexe und Konditionierungen reaktiviert, die ästhetische Unterscheidungen in den Hintergrund zu drängen pflegen.
Sicherlich können Effekte dieser Art auch gemäß der Logik der Avantgarde als Versuch interpretiert werden, konventionell ästhetische Beobachtungsschemata zu irritieren. Aber es drängt sich inzwischen der Verdacht auf, dass wir bald den Punkt erreicht haben werden, wo auch die aufwendigste Simulation alltäglicher Situationen als etwas ganz Normales erscheint.
Eine solche, vom großen Maßstab der Inszenierungen unbeeindruckte Perspektive, hätte den Vorteil, die Feinheiten wieder klarer in den Blick zu bekommen. Die Real-Simulation wäre dann ein Medium, wie das der Malerei oder der digitalen Fotografie auch, und die Kunstkritik könnte sich auf Komplexität und Stringenz der Konzepte und ihrer Durchführung richten.
Christoph Büchels Arbeiten bieten sich durch ihre an vielen Stellen subtilen und ausgetüftelten Arrangements für einen solchen Blickwinkel an, auch wenn sie weder auf den deutlichen Bruch mit marktkonformer Objekthaftigkeit noch auf die Störung einer bequemen und distanzierten Betrachterposition verzichten.
Die Installation SHELTER im Münchner Haus der Kunst eröffnet sich nur denjenigen, die zunächst einmal, (erfahrene Kunstfreunde kennen das schon,) eine Haftungsausschlusserklärung unterzeichnen, und damit zugleich ihren Namen in eine Liste eintragen, die auch eine Kontrolle über die begrenzte Anzahl von Personen erlaubt, die sich in der Installation aufhalten dürfen.
Damit ist der Weg frei zum Eintritt in eine karge Vorhalle, die einen nicht funktionierenden Kaffeeautomaten, zwei Reihen wackliger Wartesaalsitze und einen großen braunroten Fleck auf dem Steinboden zu bieten hat. Das genügt um genau die Empfindung auszulösen, die das Kennzeichen für das Betreten jener Nicht-Orte ist, die jede Aufmerksamkeit für Einzelheiten paralysieren, weil ihre Bestimmung, einem nur funktionalen Zwischenaufenthalt zu dienen, alle anderen Spuren sinnhaften Geschehens nach kurzer Zeit wieder auslöscht.
Ein Kühlhaustor bildet hier den adäquaten Kontrapunkt zur Architektur des Nazibaus, und gibt nun den Weg frei in einen kleinteiligeren Bereich, der mit dem Wechsel in eine vollkommen andere Umgebung technoid unwirtlicher Anmutung einhergeht. Metallwände, offene Stromleitungen, ein großes Kühlgebläse und röhrenartige Kanäle als einzige Möglichkeit weiter in die Installation einzudringen – ansonsten ist jede Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten, so wie man das von Lagerhauscontainern, Bunkern oder Raumstationen kennt. Abgesehen von einem alten Schlafsack mit Pappkartons als Unterlage ist der Raum und der Quergang, der von im abzweigt, trostlos leer.
Um den Weg fortzusetzen hat man nun die Wahl zwischen zwei tunnelartigen Wellblechröhren, die nur halb kriechend zu bewältigen sind. Die Konstruktion erweist sich jedoch als stabil und es zeigt sich schon bald wieder Licht am Ende des Tunnels. Hat man die leicht ansteigende Röhre gewählt, dann bietet sich jetzt ein Blick hinab in einen kleinen Raum, der so ungefähr alles versammelt, was mit der Vorstellung eines gescheiterten Traums von der behaglichen Unterkunft verbunden ist: Die Toilette steht unmittelbar neben dem einzigen Tisch, die Waschmaschine scheint alles schmutzige Wasser ausgespuckt zu haben, und in dem knöcheltiefen See schwimmen nicht nur Zeitungen, sondern liegen auch die Kabel für das graue Elektroheizgerät. Wer mutig genug ist, kann jedoch auf den einzigen Stuhl im Raum steigen, und sich von hier aus in eine andere abzweigende Röhre zwängen. Man gelangt dann, sich seitlich abrollend, in einen breiteren Quergang, in dem eine Art Schlafkoje (wieder mit altem Schlafsack) und ein kleiner Arbeitstisch mit kümmerlichen Werkzeugen, Elektroschrott und Materialresten zu finden sind. Im daran anschließenden Zimmer (wieder mit richtigem Boden) befindet sich sogar ein archaischer Computer, der zumindest Eingaben per Tastatur am Bildschirm wiedergibt.
Hat man zunächst noch geschwankt, ob die Szenerie als Unterkunft von Obdachlosen oder als Refugium abseitiger Existenzen in einer Art von Strafkolonie aufzufassen ist, so werden mit den wenigen technischen Gerätschaften, auch Erinnerungen an Schlupfwinkel jugendlicher Abenteuer wach. Jedenfalls provozieren die Rätsel, die die Situation aufgibt, eine Art von archäologischem Blick, der auch die Möglichkeit einer schrottreifen Raumstation aufscheinen lässt, in der sich übrigens des weiteren noch die Kabine einer Seilbahn befindet.
Am Ende gerät man in einen Raum, der nichts Neues mehr zu bieten hat, außer einer Tür mit der Aufschrift „Nur im Notfall öffnen!”. Ist hier das Spiel zu Ende und muss einen dieser Text daran erinnern, dass man sich nicht in einem Film, sondern in einer musealen Installation befindet, wo es Sicherheitsvorschriften etc. gibt? Oder ist dies eine weitere Stufe der Inszenierung, und man kann beschließen, dass dieser fiktive Notfall einen ihrer Züge ausmacht? Falls man sich für letztere Möglichkeit entschieden hat, gelangt man hinter dieser Tür wieder in den normalen Museumsraum, bzw. an dessen anderes Ende, und kann nun nicht nur einen Blick auf die Außenseite der Konstruktion werfen, in der man zuvor herumgekrochen ist, sondern findet außerdem noch ein stattliches Materiallager vor, Teile verschiedenster Art, die nicht in die Konstruktion selbst Eingang gefunden haben. Es ist wie ein Blick in die Arbeitsumgebung des Künstlers, in der das fertige Produkt nur Teil eines Prozesses ist, der ebenso wenig zu fixieren ist, wie die Assoziationsströme, die es auslöst. Wie in einer Fußnote bringt sich der Autor und Regisseur hier selbst ins Spiel, ohne der Bedeutung dieser Signatur einen eindeutigen Wert beizulegen; schließlich muss man von hier wieder den Rückweg antreten, um ins Freie zu gelangen, und dabei wird die Frage nach den Produktionsbedingungen noch einmal durch den Tunnel geschickt.
Insgesamt bietet sich mit Büchels Arbeit ein vielschichtiges Szenarium an, dessen verschiedene Eindrücke, Objekte und Eigenarten nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen sind, weshalb sich für ihre Interpretation eine Mehrzahl von Möglichkeiten eröffnen. Zwischen verstaubten und abgründigen Erinnerungsmomenten tauchen immer wieder absurde und fiktive, insbesondere negativ visionäre Aspekte auf. Aber auch wenn diese Mischung die Verbindung der narrativen Linien zu einem einzigen Faden verhindert, bleibt doch immer genug Spannung, um jene Unruhe zu bewirken, die schon immer das Kennzeichen souveräner Kunst war.

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Michael Hauffen

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