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Joao Penalva - The Great Wallenda


Bildende Kunst hat sich längst davon entfernt, ihre Autonomie auf radikale Isolation des eigenen Mediums gegenüber allem anderen zu stützen. Bei der Öffnung für ihr äußerliche Themen und Gegenstände und der Erweiterung traditioneller Kunstdisziplinen zu multimedialen Environments wird aber die Frage nach der Trennschärfe, ohne die das Spezifische der Kunst gegenüber beliebigen kulturellen Moden und Stilen profillos bleibt, umso gewichtiger. Vom unter dem Signum der Postmoderne herrschenden Standard der Verschmelzung heterogener Zeichen und Medien zu einem global gültigen Cocktail, sind daher dezidiertere ästhetische Strategien zu unterscheiden, denen es darum geht, die Spur des Eigenen im Anderen zu verfolgen, ohne dabei das Eigene aus den Augen zu verlieren. Bezogen auf die Bild-Kunst kann das etwa die Anstrengung bedeuten, den Prozess der Bild-Wahrnehmung in seinen nicht-visuellen Begleitphänomenen zu beobachten.
João Penalvas Arbeiten bieten für eine Problematisierung unter diesem Gesichtspunkt eine Reihe von Anhaltspunkten. Sein Ansatz gründet von Anfang an in jener Spielart der Verschmelzung von darstellender und visueller Kunst, die seit den 80ern üblich geworden ist und zu hybriden Installationen geführt hat. Anhand der multimedialen Installation Wallenda (1997/98), die als eine Art Reprise auf eine größere Präsentation in Belém (Portugal) nun in der Galerie Barbara Gross zu sehen ist, könnte man daher der Frage nachgehen, ob und wie dieses mehrschichtige Werk die Möglichkeit, sich verschiedenster Medien und Themen zu bedienen, in sich selbst reflektiert.
Die komplette Version der Arbeit besteht aus einer umfangreichen Sammlung von Zeichnungen und Fotografien, die zusammen mit einer Videoprojektion und einem Text ein Projekt umrahmen, dem Penalva eine Menge Zeit gewidmet hat: das Orchesterstück „Le Sacre du Printemps” von Igor Strawinski nachzupfeifen und diesen Vortrag mitzuschneiden. Penalvas Vorhaben, erschien auch ihm selbst anfangs nicht überaus kompliziert, aber im Lauf der Zeit erwies sich, dass es nur mit unerbittlicher Beharrlichkeit ohne Abstriche zu realisieren war.
Wie er selbst in dem Text, der Bestandteil des Projektes ist, erzählt, verbindet ihn eine intensive Kindheitserinnerung mit Strawinskis Stück. Deshalb genügt auch die Anregung eines Kurators um die persönliche Reminiszenz zum leidenschaftlichen Inhalt einer künstlerischen Unternehmung werden zu lassen. Ehrgeizig ist Penalvas Vorhaben, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die komplette Wiedergabe des Stücks (Dauer: 30 Minuten) zu bewerkstelligen, eigentlich nur, weil er weder Noten lesen noch ein Musikinstrument spielen kann.
Bis zur Eröffnung der Gruppenausstellung, zu der er seine Performance unrsprünglich präsentieren wollte, gelang es ihm allerdings nur, die ersten dreieinhalb Minuten fertig zu stellen, denen er dann unter dem Titel Trailer eine entsprechend fragmentarische Form gab. Am anfänglich gefassten Plan hielt er aber dennoch fest.
Die Inanspruchnahme eines professionellen Musikers, der ihm dabei helfen sollte, die vielstimmige Partitur mit ihren 150 Seiten auf eine einstimmige Melodie zu reduzieren, beschränkte sich auf die gemeinsame Festlegung einer Folge von Tönen, die Penalva schließlich stückweise im Tonstudio aufnahm. Als Gedachtnisstütze fertigte er sich eine Serie von 154 Zetteln an, deren vollkommen idiosynkratische Transskription, auch ihm selbst nur im Zusammenhang entzifferbar war.
Diese Zettel, die gekritzelten Linien, Pfeile, Zeichen und andere Notizen enthalten, bilden nun eine erste visuelles Supplement zur Präsentation der vollständigen Tonspur. Sie machen einen mnemotechnischen Kunstgriff sichtbar, der als operativer Faktor der aufgenommenen Melodie zugrundeliegt, aber nach ihrer Aufnahme seine Funktion erfüllt hat. Wir können durch ihre Betrachtung die Komplexität des Herstellungsprozesses zwar nicht nachvollziehen, aber erahnen. Das kann auch als Hinweis auf die Unmöglichkeit verstanden werden, die Fülle im einzelnen Bewusstsein simultan ablaufender Vorgänge in eine lesbare oder via Sprache verstehbare Form zu überführen.
Festzuhalten bleibt aber, dass diese Unmöglichkeit sehr wohl deutlich werden, dass sie – insbesondere in der Kunst – kommuniziert werden kann. Die Logik der Übersetzung eines Wahrnehmungsvorganges von einer Spur auf eine andere ähnelt dabei derjenigen, mit der schon die Zeichenfolgen auf einer einzelnen Spur den Eindruck erwecken können, dass sie nur immer wieder auf neue Zeichen verweisen und den Zugang zu ihrem Gehalt kontinuierlich verschieben. Penalvas Arbeit lässt sich zwar nicht auf die Demonstration derartiger Thesen reduzieren, zumindest bestätigt aber die weitere Entwicklung des Projekts die Vermutung, dass ihn die Problematik unabschließbarer Prozesse der Verschiebung von Sinn wie ein Unruheherd weitertreibt.
Einmal bei der Entdeckung mehrerer parallel ablaufender Prozesse der Einschreibung angelangt, fügt er seiner Installation jedenfalls noch weitere mediale „Spuren” hinzu. Vor allem ist da die narrative Figur eines Textes, in dem er die Geschichte des gesamten Projektes in einfacher Form erzählt. Die Zeilen dieses Textes sind in der Installation so angeordnet, dass es unmöglich ist, sie zu lesen, ohne sich durch den Raum zu bewegen, in dem auch die anderen Elemente der Inszenierung zu sehen sind. Im Museum in Belém zog sich diese Textlinie sogar wie eine Führungslinie an sämtlichen Wänden entlang, und zwang die Leser, alle anderen Exponate zu passieren. Das bewirkt für die Lektüre eine Verlangsamung, die zwar die Rezeption der Geschichte erschwert, aber dafür die Funktion von normalen bzw. nicht-normalen Rezeptionsbedingungen spürbar werden lässt.
Noch eine andere Ebene bringt eine Videoprojektion ins Spiel, die der ganzen Arbeit schließlich auch den Titel gegeben hat Nachdem er sein selbstgesetztes Ziel erreicht hatte, forschte Penalva noch einmal nach Hinweisen auf seine Motive zu dem Unterfangen, auf das er sich eingelassen hatte, und stieß auf die Erinnerung an ein Ereignis, das er im Fernsehen gesehen hatte. Der Große Wallenda, ein Seiltänzer, der durch spektakuläre Aktionen Berühmtheit erlangt hatte, trat 1979 in Puerto Rico an, seinen schon wieder verblassenden Ruhm zu erneuern, und scheiterte bei dem Versuch, ein Seil zu überqueren, das zwischen zwei Hotels in 50 Metern Höhe gespannt war. Die letzten Schritte vor seinem Absturz waren aufgezeichnet worden, und Penalva verwendet dieses Material für eine kurze Sequenz, die als permanenter Loop zu sehen ist.
Bezüglich der Verbindung zwischen diesem Videobild und der Performance lenkt Penalva selbst in seinem Text das Augenmerk auf die Herausforderung, die darin besteht, ein Wagnis zu Ende zu bringen. Aber darüber hinaus ist ihm auch die formale Beziehung zwischen gespanntem Seil und seiner schwindelerregend langen Melodielinie wichtig. Und um diese Assoziationskette noch weiter zu verfolgen, legt er für die Ausstellung in München eine weitere mediale Spur. Er beauftragt einen Experten, die letzten Bewegungen Wallendas vor seinem Fall in Ballettnotation zu übersetzen, und lässt diese Transscription als Stickerei ausführen.
Im Überblick erweist sich die Vielfalt von Möglichkeiten der Aufzeichnung und Codierung von Ereignissen, die damit zwar beobachtbar und kommunizierbar werden, die aber dennoch im Dunkeln bleiben, was die Fülle der Gefühle, Gedanken oder Intentionen betrifft, die dabei im Spiel sind. Insofern muss man die Fokussierung Penalvas auf seine Innenwelt, der er durch Athletik und Acrobatik spektakuläre Aspekte abgewinnt, nicht unbedingt als Überbewertung der eigenen Subjektivität ansehen, sondern könnte es als experimentelle Grundlage dafür nehmen, die Grenzen der Kommunikation zu sondieren, und sich von der Unabschließbarkeit einer Klärung dessen treiben zu lassen, was innerhalb und außerhalb medialer Codierungen möglich ist.

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Michael Hauffen

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