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BIGNES? – Jochen Becker (Hg.)


Apokalyptische Visionen gehören auch heute noch zum immer wiederkehrenden Motiv der Kunstdiskurse. Man pflegt damit die Erwartung zu verbinden, dass die Kunst für globale Gefährdungen und die sie verursachenden Mechanismen sensibilisiert, wobei der latente Zweifel an der „Macht der Phantasie” je nach Charakter mehr auf die kulturpessimistische, die appellierende oder die verzweifelt beschönigende Seite ausschlägt. Die Autoren des hier vorliegenden Bandes scheinen sich dagegen darüber einig zu sein, dass mit derlei Ansätzen nicht nur der Status Quo bestätigt wird, sondern riskant einseitige, vor allem ökonomische Strategien – mehr oder weniger ungewollt – unterstützt werden.
Die Antwort auf diese Einschätzung der Lage sind einerseits gründliche und nüchtern analytische Kritik an den herrschenden ästhetischen Vorstellungen und deren Verwicklungen in kulturpolitische und ökonomische Strukturen – und andererseits der Versuch über radikale kunstübergreifende Interventionen nicht nur Gefahren, sondern auch vom Kunstmarkt und den Institutionen an den Rand gedrängte Potentiale bewusst zu machen.
Als Kernproblem, in dem alle die Fäden, die hierbei gesponnen werden, immer wieder zusammenlaufen, wird die Entwicklung anvisiert, die die heutigen Metropolen durchlaufen, und in der die ökonomische Perspektive von Unternehmen und ihren Aktionären immer mehr Gewicht gegenüber den Belangen der BewohnerInnen bekommt. Exemplarisch für die Beobachtung dieser Verschiebung stehen die Analysen von Klaus Ronneberger, der der Rolle der Deutschen Bahn AG bei einer Umstrukturierung bundesrepublikanischer Innenstädte nachgeht. Ohne dass davon viel Aufhebens gemacht würde, zeigt sich, dass die Kommunalpolitik endlose Zugeständnisse an private Investoren zu machen bereit ist, ohne dafür mehr zu erhalten als die Chance, mittelfristig in der Konkurrenz der Städte mithalten zu können, was im Fall des Scheiterns der daraus abgeleiteten Rentabilität allerdings voll zu Lasten der Gemeinden geht. Nicht nur der Steuerzahler, vor allem die BewohnerInnen der Städte sind davon betroffen, denn die Folge zunehmend kommerzieller Umfunktionierung wäre selbst im Fall der Rentabilität solcher Projekte die zunehmende Unwirtlichkeit einst vitaler Lebensräume, für deren Ersatz dann vermutlich auch bald die Mittel abhanden gekommen sein werden.
Von seiten ästhetischer Praxis geht es konsequenterweise nicht nur darum, solche Entwicklungen sinnfällig zu machen, sondern auch Aktionsformen zu initiieren oder weiterzuentwickeln, die zumindest eine symbolische Behauptung verdrängter Lebensformen geltend machen konnten. Ein so medienwirksames Beispiel wie Christoph Schlingensiefs Missionsprojekt wird hier aus einer Perspektive aufgegriffen, die im Taumel spektakulärer Nachrichten schnell wieder verschwunden ist, nämlich als Erfahrungsbericht einer Gruppe von KünstlerInnen, die sich dem Aufruf zur Bildung basisdemokratischer Aktivitäten spontan anschlossen und ein Jahr lang damit experimentierten. Das gut dokumentierte Projekt Park Fiktion (Hamburg/ St. Pauli) wurde dagegen von seinen InitiatorInnen selbst über viele Jahre weiter betrieben, und hat immer wieder neues Interesse gefunden, vor allem von seiten jener Verfechter einer Kunst im öffentlichen Raum, die der Vorstellung autonomer Ästhetik kritisch gegenüberstehen und in künstlerisch interventionistischer Praxis ein Mittel sehen, verschiedene ausgegrenzte soziale Kontexte zu aktivieren. Der Kern von Park Fiktion ist bekanntlich ein kleiner Park, der einem Bauvorhaben zum Opfer fallen sollte, und damit einen Rest urbaner Substanz als Vakuum zurückgelassen hätte. Der Widerstand gegen diesen Vorgang bestand vor allem darin, diesen Raum mit verschiedensten Aktivitäten zu füllen, und damit das gefährdete Potential heterogener Freizeitaktivitäten nicht nur bewusst zu machen, sondern über die Grenzen des Normalen hinaus zu treiben.
In ähnliche Richtung gehen Projekte wie die Innenstadtaktionen oder die als Karneval proklamierte Aktion „Reclaim the Streets”, die sich jedoch nur temporär entfalten konnten. Verschiedene AktivistInnen versuchen denn auch an kurzfristige Erfahrungen mit aktivem Widerstand längerfristig angelegte Projektarbeit anzuschließen. Eine Reihe von Videogruppen, Architekturforschungen und Theoriearbeitskreisen ist daraus erwachsen.
Das Problemfeld der Privatisierung des öffentlichen Raums taucht dabei immer wieder auf. Symptomatisch zugespitzt zeigt es sich in der neuen Norm der Konsumwelt, den Malls. Jene ins Riesenhafte tendierenden Einkaufspassagen, stechen durch vollkommene Überwachung und Regulierung des in ihnen stattfindenden Lebens hervor. Es passte den an dem Buchprojekt Beteiligten denn auch gut ins Konzept, dass es eine Einladung zum Filmfestival in Oberhausen gab, einer Stadt, die inzwischen vor allem mit ihrer Shopping Mall „CentrO” Geschichte zu machen versucht. Mehr oder weniger explizit drehen sich alle in diesem Band versammelten Beiträge um die Frage, inwiefern solche Konsumfestungen noch komplexe Dispositionen für städtisches Handeln zulassen, oder ob sie als reine Form nett verpackter Gewalt betrachtet werden müssen. Die Frage in Bezug auf letztere Option würde dann lauten, wie einer solchen Gewalt offensiv begegnet werden kann. Dass adäquate Antworten darauf nicht unbedingt abstrakt oder skeptisch ausfallen müssen, zeigt auch das Projekt „A-clip”. Es handelt sich um einen äußerst plastischen Trickfilm , der als eineinhalbminütiger Teil des Werbeblocks in verschiedenen Kinos vorgeführt wurde. Die unternehmerische Stadt wird dort als grotesk überzeichnetes Geschehen dramatisch vorgeführt. Was dieses Beispiel auch belegt, ist die Tatsache, dass städtisches Handeln heute den gezielten Umgang mit technischen Medien einschließt. Allerdings dürfte sich grundsätzlich nichts daran geändert haben, dass die Basis urbaner Vielfalt die Straße ist. Auf die eine Aufforderung wird man daher immer wieder zurückkommen: Reclaim the Streets!

Jochen Becker (Hg.) BIGNES? Size does matter. Image/Politik. Städtisches Handeln. Kritik der unternehmerischen Stadt. 270 Seiten, zahlr. Abb., 32 DM. b_books, Berlin 2001

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Michael Hauffen

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