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Theweleit - Buch der Könige


Genies residieren wie Könige auf ihren unantastbar erhabenen Positionen, jedenfalls will es die Idealvorstellung von ihnen so. Trotz des Kampfes um eine demokratische Welt, der auch im Feld der Kunst geführt wurde, hat sich diese Bastion einer hierarchischen und patriarchalischen Ordnung in den meisten Köpfen bis heute gut gehalten. Klaus Theweleit, der sich schon mit seiner ersten Studie "Männerphantasien" (1977/78) vom akademischen Betrieb verabschiedete, indem er in diesem abgewertete Strömungen wie Psychoanalyse, Trivialkultur, Film und Feminismus integrierte, unternimmt mit seinem derzeitigen Langzeitprojekt einen Versuch die Strukturen kultureller Macht weniger von außen, als von innen, d.h. von der Subjektseite her zu dekonstruieren, ohne dabei auf die Potentiale zu verzichten, die die Kunst selbst, und nicht zuletzt in ihren "genialen" Exponenten, gegen eine lieblose, in Ungerechtigkeit erstarrende Welt aufbietet.
In Band 1 (1989) ging es um jene in den Produktionsprozeß des Genies involvierten Personen, die dabei im Hintergrund, wenn nicht auf der Strecke bleiben. Letzteres bleibt traditionell Frauen vorbehalten, die darin bis heute dem Mythos von Orpheus und Eurydike gemäß - der allerdings von Theweleit seiner die Tatsachen beschönigenden Funktion überführt wird - das erhabene Werk durch ihre Opferrolle nähren. In Band 2 rückt das Verhältnis des Künstlers zur explizit politischen Macht in den Mittelpunkt. Spätestens hier erweist sich die selbstgewählte Kennzeichnung seiner Bücher als Kriminalromane als gerechtfertigt, wenn nämlich am Beispiel eines Künstlers (Gottfried Benn) das Verbrechen rekonstruiert wird, das jener an sich selbst verübt hat, indem er zeitweise alle seine ästhetische Sensibilität zum Schweigen brachte, nur um als einsame Größe mit dem Führer auf einer Ebene zu stehen, was ihm allerdings gründlich mißlingt. Heute bietet sich für die existenzbedrohende Situation, daß ein Künstler den Wert seiner Fähigkeiten fühlt, aber kein ihm entsprechendes Milieu zur Verfügung steht, die Rolle des Popstars an. Über Elvis Presley, The King, führt Theweleit in Verfolgung dieser These seine Untersuchung bis zum Superstar Andy Warhol weiter, als Beispiel für eine gelungenere Rettung des künstlerischen Kapitals über den kritischen Moment hinweg, wo die kulturell produktive, d.h. einen Raum gesteigerter Sensibilität öffnende Stimmung in sich zusammenbricht und die Virulenz aufbegehrender Intelligenz ausbleibt. Warhol erweist sich sowohl als zwangloserer Vermarkter seiner Kunst auf höchster Ebene, wie er auch weiterhin subtile Spuren seiner sensiblen Wahrnehmungen zu legen vermag, die Theweleit detailliert verfolgt, und deren geheime Motive er kongenial rekonstruiert.
Die Fülle der Bezüge und überraschenden Momente der ca. 2.800 Seiten, die vom Buch der Könige inzwischen erschienen sind, läßt sich nicht in einfache Formeln zusammenfassen. Der Widerstand gegen starre Schematismen ist einer der Hauptimpulse für Theweleits Arbeit. Vor allem für den männlichen Künstler, der sich seiner eigenen Produktionsbedingungen bewußt werden und aus dem mehr oder weniger deutlich wahrgenommenen Mißverhältnis zwischen (angestrebter) Sonderstellung und ungerechten Voraussetzungen bewußte Konsequenzen ziehen will, bietet dieser Ansatz fundiertes Material und im Autor ein Vorbild in Hinblick auf eine immer wieder gelingende Balance zwischen Entdeckungsrausch und Relativierung der eigenen Positionen. Es geht Theweleit nicht einfach darum moralische Instanzen aufzubauen, sondern einen Diskurs in Bewegung zu bringen, der auf der Basis einer wach gehaltenen Kultur der Revolte zur Emanzipation von in, durch und um uns wirksamen Machtstrukturen anregt. So verdient diese Art der gründlichen Abweichung von Sicherheit suggerierenden Lebensweisheiten Beachtung auch für eine Diskussion der etwaigen Wege und Möglichkeiten politischer Einflußnahme durch Kunst, denn: "Für Leute oder Institutionen, deren Arbeit darin besteht, Köpfe zu infiltrieren und zu kontrollieren, gibt es nichts Schlimmeres, als Machtvakuen."

Michael Hauffen

Klaus Theweleit: Buch der Könige, Band 2x/2y, Verlag Stroemfeld/Roter Stern, Basel/Frankfurt 1994, (ISBN 3-87877-306-4), 2 Bände im Schuber zusammen: DM 148,-, einzeln: je DM 99,-; weitere Bände werden folgen.

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