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Stephan Conrady


Landschaftsmalerei erscheint heute anachronistischer denn je. Die alten Meister dieses Genres lassen uns zwar manchmal jenes Vertrauen in die Allmacht einer mannigfaltigen Natur wieder empfinden. Aber das gelingt nur, wenn wir in uns eine vergangene Welt und ihre Utopien wieder auferstehen lassen. Mit der industriellen Entwicklung ist die Natur aus dem Zentrum unmittelbarer Erfahrung immer mehr verschwunden, und wurde durch ihre technische Aneignung ersetzt. Sicherlich steht dabei der Zerstörung auch eine Bewahrung gegenüber, aber die mögliche Erfahrung natürlicher Vielfalt wird im Fall künstlicher Erhaltung oder Simulation von Natur ebenfalls entscheidend beschnitten. Das Naturerlebnis in einem Nationalpark ist durch das Wissen um ökonomische, politische und ideologische Bedingungen bis hin zu Verhaltensmaßregeln konditioniert und reduziert. Wer geistige Freiheit sucht, muss sich woanders hinwenden. Die Entwicklung der Malerei der Moderne zu Abstraktion, Konstruktivem, Informellem oder umgekehrt zu symbolischer Zerstörung wird nicht zuletzt aus dieser Entwicklung nachvollziehbar.
Dennoch hat sich in den letzten Jahrzehnten wieder eine Malerei entwickelt, die sich landschaftlicher Schönheit zuwendet. Interessant sind diese Rückgriffe auf ein altes Thema, in dem Maß wie sie die ästhetische und technische Entwicklung mit reflektieren und die Naturdarstellung neu erfinden. Große Bedeutung kommt etwa malerischen Verfahren zu, die sich mit dem veränderten Blick auf Natur auseinandersetzen, welchen die Fotografie und ihre massenhafte multimediale Verbreitung ausgelöst hat. Das technische Moment sollte dabei keinesfalls in einem zu engen Rahmen gesehen werden. Besser wäre es, von Technologie zu sprechen und darunter ein System von gesellschaftlichen Praktiken und Wissensformen zu verstehen. Denn auch das zeitgenössische Subjekt, das mit „Natur” bestimmte Erwartungen verbindet, tut das im Zusammenhang verschiedener Lebenstechniken, die mit den sozialen Umwelten abgestimmt sind.
Malerei ist selbst eine solche Lebenstechnologie. Sie koordiniert bestimmte Umgangsformen mit Farben, Motiven und Betrachtungsweisen. Das tangiert Einstellungen und Gefühle ebenso wie es Kenntnisse und Erfahrungen vertieft.
Unsere Naturvorstellungen sind auf diese Weise tief in uns verankert. Und die Natur ist auch ein Spiegel der Subjektivität, sie bietet die Möglichkeit, uns selbst auszuloten. Wenn es darum gehen soll, die Selbsterfahrung durch Wahrnehmung der Natur in ihrer ganzen Intensität zu jener Entgrenzung zu treiben, die das Erhabene auszeichnet, dann darf allerdings das Natürliche nicht idealisiert oder instrumentalisiert werden. Es geht vielmehr darum, ihre Mannigfaltigkeit freizulegen, die vorgefasste Meinungen und überlieferte kulturelle Gewohnheiten ebenso überschreitet wie die Grundbegriffe der Naturwissenschaften und der Philosophie.
Die Mannigfaltigkeit findet sich in jedem Detail und auf jeder Ebene, und um sie zu erschließen, ist es erforderlich, irgend etwas zu fokussieren. Stephan Conrady setzt in dieser Konsequenz bei einem auf den ersten Blick ganz einfachen Motiv an. Es handelt sich um eine grüne Ebene mit geradem Horizont, in deren Mitte sich ein paar Büsche oder Bäume gruppieren. Manchmal sitzen oder stehen davor einige Figuren, die nichts anderes zu tun scheinen, als die Ruhe und den wolkenlosen Himmel zu genießen.
Was als einzelnes Bild wie eine naiv gedachte Idylle wirkt, entfaltet jedoch seine in ihm schlummernde Potenz in der Wiederholung. Schon die wenigen Elemente und die verschiedenen malerischen Möglichkeiten ihrer Darstellung genügen, um daraus Serien zu entwickeln, die den Rahmen intentionaler Eindeutigkeit sprengen. Zwar ließe sich das Motiv (bzw. seine ununterbrochene Wiederaufnahme) als „fixe Idee” bezeichnen, doch scheint der Grund dafür ein Wunsch nach Entgrenzung zu sein, der sich in dem Maß erfüllt, wie sich der Bildgegenstand vom Bezug zur Realität löst, wie er in einen autonomen Zustand der Virtualität übergeht.
Das Klischee einer per se harmonischen Natur wird so von innen heraus gesprengt, indem seine Funktion im Kontext urbaner und psychischer Konfliktherde nicht wie sonst üblich verklärt oder karikiert, sondern auf eine überraschende Art thematisiert wird. An die Stelle statischer Naturbegriffe tritt ein konstruktives Verfahren, das quasi ökologisch, aus der Perspektive des Bewohners eines Milieus den Faktoren und Momenten nachspürt, die in der Vision idealer Lebensbedingungen ganz unmittelbar das Gefühl von Stimmigkeit auslösen.
Die Variabilität des Motivs gründet sich dabei auf die malerischen Möglichkeiten, die sich um so mehr als unerschöpflich erweisen als der Blick für immer kleinere Nuancen und ihre subtilen Wirkungen geschärft wird. In der Differenz schon allein zweier Varianten eines Motivs wird ein Spielraum wahrnehmbar, der sich immer mehr entfaltet, je tiefer ich in die verschiedenen Wertigkeiten von Farben und Strukturen und ihre Kombinationen eindringe. Auch wenn in dieser Methode die Züge eines modernen und experimentellen Ansatzes zu erkennen sind, geht es doch weniger um eine kritische Distanzierung von der traditionellen Landschaftsmalerei, als um ihre Intensivierung und Erweiterung. Während heute im Zuge traditionalistischer Tendenzen vor allem virtuose Darstellungen einer Natur gefeiert werden, deren Auffassung Gesundheit und Unzweideutigkeit suggeriert, wobei nicht nur die Gefühlsspektren eindimensional werden, geht es hier darum, konditionierte Erwartungen zu überschreiten und die atmosphärische Komplexität des Naturgeschehens zu untersuchen.
Es ist leicht zu erkennen, dass Conrady das Handwerk des Malens beherrscht. Aber nichts liegt ihm ferner, als das Bedienen der Legende vom perfekten Meisterwerk. Wie er selbst sagt, führen solche Stereotypen nur dazu, den Blick zu verbauen, und verhindern die Entdeckung neuer Zugänge. Um sich der eingefahrenen Sichtweisen zu entledigen, geht er sein schlicht konzipiertes Motiv zunächst ohne Pathos, ja sogar übertrieben naiv an. Diese spielerische Ebene ermöglicht ein Hantieren mit unbeabsichtigten Impulsen, ohne unter den Zwang der expressionistischen Geste zu geraten. Auf einer zweiten Ebene wird dann allerdings sorgfältig und kritisch nachgespürt, ob die einzelnen Momente – und dazu gehört auch eine momentane Stimmung des Künstlers – zusammenpassen. Hieraus erklärt sich auch die Tatsache, dass manche Gemälde eine lange Bearbeitungszeit hinter sich haben, ehe sie abgeschlossen werden. Ihre Stimmigkeit beschränkt sich aber nicht nur auf das Einzelbild, sondern erstreckt sich zudem auf seine Zugehörigkeit zu einer der fortlaufenden Serien, die jeweils einen bestimmten Haltepunkt auf der Kurve der Möglichkeiten umspielen.
Die Feinsinnigkeit dieser Bilder kommt ohne alle Hochgestochenheit aus. Auf Genialität im Sinne der Enthobenheit kann genauso verzichtet werden, wie auf ideelle Überfrachtung oder handwerkliche Höchstleistung. Als Betrachter sieht man sich weder ausgeschlossen noch in eine Bewunderungshaltung gezwungen. Wenn sich hier Rätsel der Natur formulieren, dann tun sie das mit einer Methode, die sich mitten im Alltag weiterverfolgen lässt. Da es Natur nicht unabhängig von uns als ihren Beobachtern gibt, geht es bei ihrem Geheimnis nicht zuletzt um unser Verhältnis zu ihr und zu uns selbst. Es geht darum, eine Vielfalt zu entdecken, die sich erst jenseits der Sicherheiten eingefahrener Gewohnheiten und Vorstellungen erschließt. Zu dieser Erfahrung und ihrer befreienden Wirkung legt Stephan Conrady mit seinen Bildern eine deutliche Spur.

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Michael Hauffen

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