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Wilfried Petzi - rough mix.
Fotografien zur Kunst 88-99


Das Bild auf dem Umschlag bringt die Paradoxie, an der sich dieses Buch abarbeitet, prägnant zum Ausdruck: Man sieht dort den Fotografen selbst in extremer Nahaufnahme, aber unscharf. Die Selbstinszenierung, die offenbar dem Zufall zu verdanken ist, und insofern die Distanz des Fotografen zu seiner eigenen Rolle unterstreicht, entstand bei Gelegenheit einer Auftragsarbeit. Die Kamera ist auf den Hintergrund scharfgestellt, wo sich Werke einer Ausstellung befinden. Links am Rand erkennt man eine Neoninstallation (vermutlich Dan Flavin) rechts eine gerahmte Zeichnung. Alles andere verdeckt der vor die Kamera gehaltene Kopf, der damit den ursprünglichen Zweck der Aufnahme vereitelt. Der Kopf hier stört, aber diese Störung – ”kapital” im direktesten Sinn – will etwas bedeuten: nicht allein Kunstwerke soll diese Sammlung vorführen, sondern eine bestimmte Sicht auf Probleme und Zusammenhänge provozieren, die im Kunstbetrieb zumeist überblendet werden. Für diese Perspektive steht Wilfried Petzi nicht allein mit seiner Person ein, weshalb es auch zu kurz greifen würde, seine Form der Beobachtung als subjektiv zu charakterisieren. Vielmehr geht es um die Anwendung kontextsensibler Tendenzen in der Kunst selbst, für die sich der Fotograf als eine Art individuellen Schauplatz definiert. Aufgrund des sozialen Bereiches, den er für sein Projekt ausgewählt hat, kommen sich dabei Subjekt, Objekt und Strategie allerdings recht nahe, was sowohl Chancen als auch Risiken birgt.
”Rough mix” gibt circa 80 Fotografien wieder, die Petzi im Auftrag verschiedener KünstlerInnen und Kunstinstitutionen aufgenommen hat, und bietet so einen groben Überblick über die Facetten eines Metiers, das als solches nur als Randphänomen wahrgenommen wird. Der Fotograf tritt hier hinter die KünstlerInnen und ihre Werke zurück, muss aber mit den immanenten Bezügen der Kunst sehr wohl vertraut sein. Insofern Petzi selbst auch Künstler ist, bringt er dafür gute Voraussetzungen mit. Bedingung der Vereinbarkeit beider Bereiche ist aber die Aufrechterhaltung einer klaren Grenze, zwischen der Kunst und ihrer Interpretation. Dass er diese Grenze respektiert und im Sinne von deren einer Seite die Erfahrungen, die er auf der anderen Seite gemacht hat, zu nutzen vermag, das belegen seine Aufnahmen immer wieder.
Die Aufgabe, die sich das Buch stellt, geht über diesen Tribut an die Spielregeln allerdings hinaus. Seine Absicht besteht vor allem darin, die besagte Grenze und ihre Funktion neu zu ziehen. In einer Art naiver Archäologie legt es schon durch das einfache ”Mixing” von Aufträgen verschiedener AuftraggeberInnen eine dokumentarische Ebene frei, die eher soziologische als ästhetische Überlegungen provoziert. Aber vor allem die Textbeiträge, zu denen Petzi AuftraggeberInnen, einen Künstler und einen Kunstkritiker eingeladen hat, lenken die Aufmerksamkeit auf Schichten, die normalerweise im Dunkeln bleiben. Die einzelnen Details, die dabei zur Sprache oder ins Blickfeld kommen, rufen nicht nur jene Mischung aus Korruption, Ressentiments, multi-medialer Wirklichkeit und drohendem Elend in Erinnerung, wobei die Münchner Kunstszene, in der er sich hauptsächlich aufhält, eine exemplarische Mittelposition zwischen Provinz und Metropole einnimmt. Genauso wenig beschränkt sich die Perspektive auf die Konfrontation dieser Merkmale mit den heroischen Zügen von KünstlerInnen oder ihren Werken, deren Glanz das zu kompensieren versucht. Vielmehr fordert diese ”grobe Skizze” dazu heraus, ein heterogenes Feld als eine Art von Ressource zu betrachten, und das Selbstverständnis der Beteiligten in einen weiteren Horizont zu stellen. So verstanden gehen von ”rough mix” Impulse aus, die das Dokumentarische überschreiten ohne auf die Manifestation einer individuellen Sichtweise programmiert zu sein. Wenn man das als die Aussage eines Künstlers akzeptiert, dann geht es hier um die Anerkennung von Potentialen und Chancen, die nicht nur vom Mainstream in der Regel übergangen werden, sondern in Bezug worauf sich auch die AkteurInnen selbst, in Folge hartnäckiger Konditionierung, ihre blinden Flecken bewahren.
In diesem Sinn lässt sich auch die ”Grobheit” der Auswahl von Aufnahmen als ein Mittel verstehen, den Blick auf die Brüche zu richten, die den Konformismus des normalen Strebens nach subjektiver Geltung (sei es auch nur über die Identifikation mit einer besonderen sozialen Gruppierung) in Frage stellen. Wahrscheinlich ist es Wilfried Petzi nicht zuletzt auf Grund seiner Zwischenposition gelungen, die Wahrnehmung dieser Ungereimtheiten, die unter normalen Bedingungen unterschwellig bleiben, zu intensivieren. Das Buch bietet keine Lösungen an, aber es konstatiert auch nicht nur lästige oder deprimierende Sachverhalte, sondern zeigt, dass sich im Abseits der großen Attraktoren des Kunstsystems genug unvermutete Dynamiken und Möglichkeiten verbergen, die erst noch entdeckt werden wollen.
Die Fotografie eignet sich nicht nur dafür, deren Spuren festzuhalten, sondern auch zur Abstützung von kritischen Diskursen, die multi-mediale, monetäre oder politische Machtstrukturen im konkreten Kunstbetrieb beschreiben wollen. Gelingt der Eintritt heterogener Positionen in einen produktiven Interdiskurs, dann ist auch die Gefahr einer Verkürzung auf milieuspezifische Ressentiments gebannt. In diesem Sinne kann das Buch als Versuchsmodell genommen werden. Seine Brauchbarkeit bemisst sich an der Entkräftung herrschender Normalität, an der freigesetzten Erkennbarkeit von Alternativen und letztlich an ihrer Umsetzung in komplexere Kunst- und Lebensentwürfe.

Autoren: Karola Grässlin, Justin Hoffmann, Erik Mosel, Bernhard Schwenk, Dirk Snauwaert, Andrea Tschechow, Joseph Zehrer.

Wilfried Petzi, rough mix. Fotografien zur Kunst 88 - 99. Mosel und Tschechow, München. 112 Seiten, 81 Abbildungen, zum Teil in Farbe, DM 58,-.

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Michael Hauffen

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