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Publi©Domain - Österreichische Fototriennale 99


Was wir inmitten beschleunigter und globaler Bilderströme heute zu sehen bekommen, ist nichts anderes als immer mehr Ausschnitte aus einer immer komplexeren Realität, die sich nicht überblicken lässt. Die Frage nach deren Einheit ist kein Problem der Quantität, so als ob etwa noch grössere Rechenleistungen oder noch weniger Schlaf uns in die Lage versetzen könnten, doch noch zu denjenigen Fakten und Zusammenhängen vorzudringen, die uns bisher verborgen bleiben mussten, sondern es handelt sich um ein Problem der Form der Wahrnehmung selbst, die in die Tiefe von Strukturen nur um den Preis einer Fokalisierung eindringen kann, mit der eine gleichzeitige Ausblendung verbunden ist.
In der modernen Gesellschaft spielt angesichts der damit verbundenen Unsicherheit die Formation der Normalität und des Mittelmaßes eine zentrale Rolle, wobei die aktuelle Entwicklung vom klassischen Muster stabiler Richtlinien zum dynamischen Normalismus der Anpassung und Beschleunigung nicht übersehen werden darf.
In der Sphäre der öffentlichen Beobachtung gesellschaftlicher Zustände erfüllt Normalität eine Orientierungsfunktion, die auf die wachsende Angst vor möglichen Katastrofen reagiert. In die Produktion und Reproduktion des Normalitätsfeldes sind die verschiedensten gesellschaftlichen Instanzen verflochten. Diese diskursübergreifende Dominanz – der Ausdruck „Public Domain” spielt auch darauf an – fordert eine eigenständige Sondierung der Logik und der konkreten Struktur dieses Dispositivs heraus, die durch Konzepte wie dem der kapitalistisch gesteuerten Kulturindustrie nicht abgedeckt werden.
Das Konzept der Österreichischen Fototriennale 99 reagiert auf diesen Hintergrund der Frage nach Funktion und Potential des sogenannten öffentlichen Raums, und auf die Ungereimtheiten, die sich im Zusammenhang seiner laufenden Thematisierung häufen, zunächst mit einer Modifikation der typischen Vorgaben künstlerisch operativen Zugangs und kommt damit Ansätzen entgegen, die von seiten der Kunst bisher nahezu ausschließlich gegen die institutionellen Strukturen erprobt werden mussten. Hervorstechendstes Merkmal der Umorientierung ist ein völliger Verzicht auf Originalwerke, die irgendwo als objektiver Referenzpunkt verfügbar zu sein hätten. Die KünstlerInnen wurden vielmehr eingeladen, digitale Bilddaten zusammenzustellen, die dann in verschiedenen Medien und Formaten, an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Zusammenhängen ihr virtuelles Bildpotential konkretisieren können. Im zentralen Veranstaltungsort Graz wurden damit allein drei Orte bespielt, nämlich das Eiserne Haus, ein „halböffentlicher” Ort, der einen geplanten Museumsneubau ersetzt, und damit die institutionelle Dynamik des Kunstkontextes ins Spiel bringt; eine Videowand im Zentrum der Altstadt, sowie grosse Plakatflächen im städtischen Aussenraum. Des weiteren bildete schon im Vorfeld eine begleitende Website im Internet einen Informations- und Kommunikationspool, in dem sich die beteiligten KünstlerInnen mit Bildern früherer Projekte, Texten und Stellungnahmen präsentieren konnten.
Ausserdem wurde anderen Institutionen (auch ausserhalb Österreichs) angeboten, sich ihrerseits an der Präsentation der Konzepte zu beteiligen, mit dem Resultat einer Liste von (teilweisen) Übernahmen und Weiterverwendungen des Projektmaterials, die den im Kunstsystem üblichen Normalfall der Wanderausstellung oder der institutionellen Kooperation übersteigt.
Im einzelnen wären diese Applikationen heute natürlich nicht ungewöhnlich. Neu an Publi©Domain ist auch nicht die kritische Bezugnahme auf den aktuellen Stand medialer Formationen. Die Aufmerksamkeit für Verschiebungen und Neuentwicklungen im Bereich der Medien gehört ja gegenwärtig zum obligatorischen Ritual künstlerischer Manifestation. Die Regel dabei ist aber die Beschränkung auf eine neu hinzukommende Technologie oder auf eine einzelne kommunikative Ebene. Demgegenüber wird bei Publi©Domain der Zusammenhang, in den die künstlerische Arbeit eingreifen soll, so weit gefasst, dass ihre eigene Verflochtenheit in die zu verarbeitenden Zusammenhänge durch Insistieren auf einen exklusiven Zugang zu den feststellbaren Blockaden und Paradoxien nicht mehr zu relativieren ist. Die Kunst ist selbst Teil des Geschehens, das als kulturelle Formation problematisch erscheint, und sie ist folglich gezwungen, auch ihre eigenen Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und zu überwinden.
Natürlich liegt es immer schon in der Struktur der Fotografie, die Frage nach der Verankerung faszinierender Bilder in den Köpfen, und ihr Verhältnis zu den kommunikativen Strukturen bewusst zu halten, was man etwa von der Malerei weniger sagen kann. So werden vor dem Hintergrund der Problemstellungen und ihrer Operationalisierung, die Publi©Domain leistet, sogar Arbeiten von KünstlerInnen noch einmal interessant, die eher konventionellen Ansätzen entspringen. Ria Pacquées Bilder zeigen beispielsweise Gesichter, aus denen die Spuren des Lebens – sei es durch Verwitterung (bei Skulpturen) oder durch physischen Tod (angezeigt durch Verhüllung) – ausgelöscht worden sind, und sprechen damit ein starkes Motiv für den Wunsch nach Normalität an, nämlich die Fixierung auf die Kontrolle allerlei kritischer Grenzwerte, die die Angst vor dem Tod überdecken.
Auf die Angst vor der Langeweile antwortet das normierte Spektakel. Wenn sich die Kunst dieser Tendenz anpasst, findet sie sich in der Rolle einer symbolischen Alchemie des Alltäglichen wieder. Monica Studer und Christoph v d Berg ironisieren dieses Prinzip unter dem Titel „Still Life Take Away”, indem sie auf einer Website eine Auswahl von Alltagsgegenständen anbieten, aus denen die Auftraggeber Stücke für ein Stillleben auswählen können. Jedes Teil ist mit Preisangabe versehen, und die Summe der Einzelpreise ergibt den Kaufbetrag des fertigen Werkes. Bei Nika Span lösen die Fotografien von Studioarenen samt Publikum durch ihren nüchternen Blick ein Element aus dem Strom der oberflächlichen Bildwelt heraus, und gestatten eine kritische Konfrontation mit diesem Operator der Freizeitkultur.
Publi©Domain wirft allerdings vor allem die Frage nach der Möglichkeit künstlerischer Intervention an dafür nicht vorgesehenen Stellen des sozialen Raums auf. Als Ort für eine Intervention in die Normalwelt wurde deshalb auch nicht eine jener urbanen Zentrumslagen gewählt, in denen Konsum, Zugangskontrollen und Kunst bereits eine illusionäre Harmonie bilden, sondern eine stark befahrene Ausfallstrasse, deren visuelle Rezeption vom Blick durch die Windschutzscheibe bestimmt ist. Auf diesen Zusammenhang von Normalität und Beschleunigung weist auch schon die Ausstellungsarchitektur im Eisernen Haus hin, wo alle Beiträge in standardisiertem Format als Tintenstrahldruck und in fortlaufender Reihe auf einem massiven Kartonband befestigt wurden, das die Räume in einer einzigen Schleife durchzieht.
Normalerweise ist die Reaktion von KünstlerInnen auf solche Herausforderungen davon geprägt, die eigene Position gegenüber jener „Eindimensionalität” in einer Form zu manifestieren, die entweder nur kunstintern verständlich ist, oder die Schemata der Werbung so weit adaptiert, dass sie in der Flüchtigkeit der Bilderströme übersehen werden. Aus letzterer Entwicklung haben Swetlana Heger & Plamen Dejanov die ultranormale Konsequenz gezogen, das ihnen als Künstlern zugestandene mediale „Fenster” komplett an BMW zu verkaufen. Der Autohersteller wird so um subventionierte Kulturnischen für seine Selbstvermarktung bereichert und die Künstler können ihre ersehnte Fahrt in Richtung Oberklasse antreten. Übereilt wäre aber die Hoffnung, in Anwendung dieser Logik der Normalität selbst entkommen zu können. Die Arbeit von Dominique Auerbacher und Holger Trülzsch demonstriert das an den Folgen expansiver Fernsehkultur, deren Sensationsbedarf auch keinerlei Grenzen des guten Geschmacks respektiert, und dennoch der Macht der Normalität zuarbeitet.
Dagegen insistieren Horáková & Maurer deutlich auf künstlerischer Autonomie, wenn sie im Eisernen Haus vorführen, dass sie neuesten Formen audiovisueller Gewaltfantasien auf hohem reflektiven Niveau begegnen, aber sich auf dem Billboard mit einem kopfstehenden Foto der Ausstellungsinstitution wieder auf Selbstreferentialität zurückziehen. Ähnlich hermetisch Lewis Baltz/Slavica Perkovic, deren Bezug auf Kantische Begrifflichkeit im musealen Kontext, ihre empörte Zurückweisung normaler Ansprüche an Kunst (im Aussenraum) komplementär gegenübersteht.
Eigentlich interessant sind die Fälle, in denen es gelingt, die Logik vermeintlich abgeschlossener Systeme zu verlassen, beziehungsweise andere Wertigkeiten in sie einzuschleusen, um ein Feld offener Anschlüsse zu konstituieren. Eine Reihe von KünstlerInnen bringen Aspekte urbaner Architektur ins Spiel (z.B. Andreas Korpys + Markus Löffler in Bezug auf Berlin-Ruhleben und mit menschenleeren Strassen aus London), was jedoch auf den Billboards jenseits der Aufmerksamkeitsschwelle bleiben wird, die man sich ja nicht in verkehrsberuhigter Innenstadt und in unbeschwerter Neugier erwandert. Luchezar Boyadjievs fotografierte Interieurs mit Bildern von der Strasse beschwören deshalb einen radikalen Flaneur, der seine tiefen Blicke jenseits hübscher Szenarien wandern lässt. Und Philip Huyghe, der mit seinen körpersprachlichen Posen repräsentative Schemata aus der Werbung adaptiert, spielt mit Selbstbeschreibungen, die die Konditionierung auf narzistische Befriedigung vermissen lassen.
Die Einbeziehung und Rekonstruktion kritischer Öffentlichkeit, mit dem Ziel, Normalität durch offene Artikulation ökonomischer und politischer Zusammenhänge zu stören, findet sich bei Stefan Römer mit „There is no public” in Bezug auf die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums, und bei Oliver Ressler/Martin Krenn mit ihren „War Zones”, die auch gesellschaftliche Normal-Szenarien wie „Capitalist Centers”, als Kriegszustand beschreiben. Allerdings wird hier die einmalige, schockhafte Konfrontation nur in Verbindung mit anderen Formen der Manifestation zu verstehen sein.
Gut funktionieren könnte die Plakatwand von Club Zwei, die ausschliesslich mit Schrift operiert, und in aufffälligen österreichischen Nationalfarben mit dem doppeldeutigen Satz „Die Hitlerzeit ist in Graz nicht verloren”, Probleme von Migrantinnen in Verkehr bringt. Die Montage zweier Gesichter von Pia Lanzinger versucht die geschlechtsspezifischen Normen auf ganz direkte Art zu kippen. Ein weiblicher Popstar ist – zumindest für die nicht unbedeutende Zahl seiner weiblichen Fans – sofort erkennbar, und das Gesicht eines jungen Mädchens beeindruckt unmittelbar durch aggressiven Umgang mit den herrschenden Freizeitcodes.
Abgesehen vielleicht von Serhly Bratkov, der rettungslos emotional auf seine Erfahrung von der Absurdität normaler Verhältnisse zu reagieren scheint, und entsprechend absurde Bilder zusammenstellt, kann man bei allen Beteiligten ein hohes Bewusstsein der Problematik einer Intervention in den standardisierten sozialen und urbanen Raum feststellen. Nur mit der wirkungsvollen Umsetzung dieses Wissens scheint es schwierig zu sein. Sicherlich ist das aber kein Mangel am Konzept dieses Projekts, das neben dem genaueren Hinschauen auf die strukturellen Widerstände auch zu einer Suche nach neuen Ansätzen ermutigt hat.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit CD-Rom, 250 Seiten, mit ca. 100 Farb- und 50 s/w- Abbildungen zum Preis von 25,- Euro.

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Michael Hauffen

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