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Geschichte des Augenblicks


Plädoyers für die Langsamkeit pflegen seit einiger Zeit als Marker bestimmter Lifestyle-Profile gesetzt zu sein. Der mythische Impuls einer Subversion technologischer Machtformationen ist damit immer schon entschärft oder fungiert sogar gänzlich als implementierte Option negativer Beschleunigung. Um so präziser wird jeder Ansatz operieren müssen, der den Rahmen konsumierbarer fertiger Angebote an besonderen Augenblicken verlassen will.
Wie die Herausforderung zu beantworten sein könnte, versucht die Ausstellung „Geschichten des Augenblicks” anhand einer Reihe von künstlerischen Positionen auszuloten, die sich alle dadurch auszeichnen, ihre Auseinandersetzung innerhalb maschineller Kontexte zu führen. Die Wahrnehmungsapparate, also vor allem Kino und Video, werden im Sinne der filmischen Avantgarde nicht als Hindernis, sondern als ausgezeichnete Möglichkeit aufgefaßt. Heute sind deren Impulse zur Erweiterung des Wahrnehmungsfeldes weitgehend abgeflacht, während es ein immer stärker normierter Realismus überschwemmt und abstumpft. Auch das Erlebnis der Langsamkeit wurde als Effekt exklusiver Szenarien bereits seit einiger Zeit für das mediale Spektakel vereinnahmt. Wenn es um Erschließung der tieferen Dimensionen des Augenblicks geht, kann also nicht der zelebrierte Moment sozialer Privilegiertheit gemeint sein.
Bruce Naumans Film „Art Make Up, No.2” von 1967/68 vertritt die ersten Schritte konzeptueller Selbstbefragung. Die affektive Indifferenz des Akteurs und die nüchterne Sorgfalt, mit der er eine bedeutungsleere Handlung dem Blick aussetzt, erlauben eine Art Wahrnehmung des Mediums selbst, das dadurch als unendliches Potential erfahrbar wird.
In „La tache aveugle” von James Coleman (1978) wird den unbewußten Strukturen eines Sehfeldes nachgegangen. Eine halbe Sekunde Filmzitat aus „The invisible Man”, wo man den Unsichtbaren nur anhand eines Abdrucks in einem Heuhaufen erahnen kann, wird auf die Dauer von acht Stunden gestreckt und damit einer Art rituellen Sezierung unterworfen. Das Zitat verweist auf die Epoche des Gothic Horror Film, einer Spielart des Expressionismus. Dessen Intention einer Zerstörung homogener Wirklichkeitsbilder evoziert eine geistige Haltung, die sich etwa im Sinne Batailles dem Heterogenen öffnet. Der blinde Fleck läßt sich nicht direkt beobachten; aber er zeigt sich, und der Film in seiner besten Form kommuniziert mit ihm, wie auch mit verwandten Erscheinungen: Drogen, revolutionäre Bewegungen, Wahnsinn, Tod.
Bei Steve McQueen sind es Kampf und Erotik, die eine Verbindung im Sinne von Destruktion normierter Klischees eingehen. Mit den filmischen Mitteln exzessiver Montage und subtiler Zeitlupe erreicht er bei der Darstellung des spielerischen Kampfs zweier nackter Körper die Auflösung der normalen Raum- und Zeitwahrnehmung. Douglas Gordons bekannte 24-Stunden-Version von Hitchcocks „Psycho” gibt dem Betrachter dagegen Zeit für nüchterne Beobachtungen und Gedankenspiele, die von der affektiven Spannung des Originals weit entfernt sind. Bill Violas historisierende Bilderzählung strebt schließlich transzendente Dauer an, wenn er ein historisches Gemälde von 1529 (Pontormo, Heimsuchung) in einer Filmszene nachstellt, deren extremes Zeitlupentempo zur Suspension von Bewegung tendiert.
Stan Douglas bezieht in seine Arbeit „Nutka” die akustische Ebene gleichwertig ein. Zwei Stimmen, die synchron sprechen, und deshalb schwer zu verstehen sind, korrespondieren mit zwei Bildern, die sich auf der Projektionsfläche überlagern. Erinnert wird dabei ein historisch bedeutsames Ereignis an Kanadas Küste, wo englische Eroberer von den Spaniern besiegt wurden. Außer dem bewaffneten Kampf scheinen die Antagonisten keine Ebene von Austausch zu finden. In noch stärkerer Form gilt die Abwehr des Fremden der „wilden” Kultur. Die latente Schizophrenie versucht Douglas im gespaltenen Bild freizusetzen, in dem sich die Landschaft als flüssiger Zustand fragmentierter Strukturen erschließt.
Alle anderen Arbeiten verwenden Videoprojektionen vor allem wegen der Möglichkeit ununterbrochener Loops. So auch Rosemarie Trockel, die die Wiederholung zweier relativ kurzer Filmsequenzen zu einer Aussage über das Verhältnis von Banalität und Kreativität nutzt. Das Alltägliche wirkt, seinem Kontext entrissen, nach kurzer Zeit ebenso fremd, wie die Folgen der Fruchtbarkeit unter Bedingungen der Normalisierung tödlich banal werden können, und aggressiv machen.
Besucherinnen einer Budapester Badeanstalt, scheinen demgegenüber, wie die nostalgisch getönten Aufnahmen von Tacita Dean zeigen, in eine Art ahistorische Trance versetzt. Das könnte auch als Anspielung auf den Zustand postmoderner Benommenheit zu verstehen sein.
Wo die Konditionierung durch spektakuläre Simulation und über rigide narrative Schemata gesteuert wird, verlaufen die Fluchtlinien über den permanenten Bruch mit dem Schein von Homogenität. Erst wo eine Serie von Unterbrechungen des normalisierten Geschehens zum Ausnahmezustand führt, läßt sich von einem intensiven Augenblick sprechen. Möglichkeiten zur Entdeckung solcher Anomalien sind in diesem Park medialer Sonderfälle vorhanden.

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Michael Hauffen

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